Nach der Party ist vor der Arbeit – das gilt auf jeden Fall für die Reinigungskräfte der Stuttgarter Abfallwirtschaft. Mehr als dreimal so viel Müll wie unter den Woche müssen sie am Wochenende beseitigen. Auch die Polizei schlägt Alarm.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Der Rest vom Fest ist Handarbeit. Schlag sechs Uhr rücken die 14 Männer mit ihren Arbeitsgeräten an. Diese sehen aus wie eine Mischung aus einem Harry-Potter-Besen und einem modernen Wischmopp. Der Job des Trupps: die Königstraße fegen. Das klingt wie eine Aufgabe, die unendlich lange dauern könnte, doch schon vor acht Uhr ist das Werk vollbracht und die Kehrmaschine hat die zusammengefegten Überbleibsel der Partynacht verschluckt. An einem normalen Sonntagmorgen saugt die Maschine, die ein Fassungsvermögen von fünf Kubikmetern hat, sich bis zu etwa drei Viertel voll, sagt Matthias Pickhardt, der Leiter der Betriebsstelle Straßenreinigung Mitte beim städtischen Eigenbetrieb Abfallwirtschaft (AWS).

 

Mit Besen, Schaufel und Mülleimer und mit zwei Kehrmaschinen entsorgen die Mitarbeiter der AWS an einem ganz normalen Wochenende – also zwischen Freitagnacht und Sonntag früh – 11,2 Tonnen Müll in der Innenstadt. Das ist etwa dreimal so viel wie an einem Wochentag. An der Treppe zum kleinen Schlossplatz wird offenbar, woraus sich diese Menge zusammensetzt. Flaschen stehen dort wie Orgelpfeifen aufgereiht auf den Stufen, dazwischen häufen sich die üblichen Fastfood-Verpackungen.

50 Polizeieinsätze in einer Nacht

„Das ist nicht viel“, stellt gegen fünf Uhr Andreas Kunz beim Blick auf die Treppe fest. Er kennt den Anblick. Der Polizeihauptkommissar kommt mit seinen Kollegen vom Polizeirevier 1 in der Hauptstätter Straße in den Partynächten am Wochenende regelmäßig an den in der Nacht wachsenden Müllbergen vorbei. Der Dienstgruppenführer hat dieses Mal größere Sorgen als die kleine Müllmenge. „Erst fing es langsam an. Aber seit vier Uhr rappelt es an allen Ecken und Enden“, so charakterisiert er den Einsatz. Die Beamten aus der Hauptstätter Straße fordern deshalb Verstärkung von den umliegenden Revieren an, weil sie alle Hände voll zu tun haben.

Zu 50 Einsätzen muss die Polizei in dieser Nacht ausrücken, vor allem im Dreieck zwischen der Partymeile Theodor-Heuss-Straße, der Eberhardstraße und dem Bahnhof. Die meisten Alarme laufen zwischen Mitternacht und sechs Uhr früh ein, „ab halb zwei ging’s richtig los“, sagt ein Polizeisprecher. Ein besonders nervös machender Alarm kommt gegen halb fünf: eine Schlägerei mit etwa 15 Beteiligten am Josef-Hirn-Platz. Die Ecke gilt nicht nur als einer der Brennpunkte in den Partynächten am Wochenende, wo es öfter zu Handgreiflichkeiten kommt. Es ist auch noch der Ort, wo sich Anhänger der verbotenen Bande Red Legion ihr Stammlokal auserkoren haben – und die zurzeit öfters mit Gewalttaten von sich reden machen. Da klingt es fast wie eine Entwarnung zu hören, dass es bei dem Streit nicht um Rivalitäten einer Jugendbande mit einer Migrantengruppe ging, sondern „um ein Mädle“. Das Opfer sei nicht ansprechbar, es habe regelrechte Schuhabdrücke am Oberkörper. Ein Passant ist schockiert. „Ich wohne seit 13 Jahren in Stuttgart. So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagt der junge Mann, der selbst auf dem Heimweg vom Feiern ist.

Ordnungshüter brauchen Verstärkung

„Heute ist es so schlimm, dass wir Verstärkung von den umliegenden Revieren angefordert haben“, sagt Kunz. In dem ohnehin zu engen Revier drängt es sich. Auch mit viel Erfahrung kann man die Nächte nicht sicher einschätzen. Weder das Wetter noch die Jahreszeit noch sonst etwas bietet ein zuverlässiges Anzeichen dafür, ob es ruhig bleiben wird oder nicht. Diese Samstagnacht belegt die Unvorhersehbarkeit erneut, denn der Abend wirkte ruhig, nach Einschätzung der Polizei war es auch nicht besonders voll.

Die Polizei hat nichts gegen die Partyszene, die bis in die frühen Morgenstunden pulsiert, stellt er klar. Für den Geschmack der Polizei sind aber „viel zu viele Menschen mit zu viel Alkohol im Blut auf einem kleinen Gebiet unterwegs.“ Seit dem Jahr 2006 habe sich das kontinuierlich aufgebaut, als die Theo bei der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland zum ersten Mal den Titel der Partymeile Stuttgarts holte.

Kritisch ist die Zeit, wenn sich die Lokale und Discos an der Heuss-Straße leeren. „Wenn Sie hier noch jemanden finden, der nichts getrunken hat, ist das wie ein Sechser im Lotto“, sagt Kunz. Und wie zum Beweis torkelt ein junger Mann auf den Polizeiwagen zu, der am Ende der Tübinger Straße steht. Eine Frage habe man noch, morgens um halb sechs in Stuttgart. „Wo kann man denn jetzt noch hingehen?“ fragt der Mann. „Was Normales, ich brauch jetzt was Normales“, schiebt er hinterher. „Da kann ich nur die Heimatadresse empfehlen!“ Der Rat bringt den Mann nicht vom Fahrerfenster weg, und so rückt die Kollegin am Steuer doch den Namen einer Kneipe in der Nähe heraus. Wenig später blinkt vor dem Laden das Blaulicht, noch eine Schlägerei, eine von 20 , zu denen die Polizei ausrücken musste. „Hätten wir den da mal lieber nicht hingeschickt“, sagt Kunz kurz nach Sonnenaufgang.