Europas Klimaziele sind die ehrgeizigsten weltweit. Die EU-Staaten einigten sich auf die Senkung der Treibhausgas-Emissionen um 40 Prozent bis 2030. Doch das Paket geht deutlich stärker als bisher auf die Interessen der Industrie ein.

Brüssel - Euphorie hört sich anders an. Sie sei „recht zufrieden“, sagte Angela Merkel (CDU) in der Nacht zu Freitag, als sich der EU-Gipfel gerade auf die Eckpunkte der europäischen Klimapolitik bis 2030 geeinigt hatte. Auf der Weltklimakonferenz Ende nächstes Jahres in Paris, wo ein globales Abkommen zur Begrenzung der Erderwärmung angestrebt wird, ist die Europäische Union nach Ansicht der Kanzlerin nun „verhandlungsfähig“ und „ein entscheidender Partner“. Umweltorganisationen wie der WWF geißelten den Beschluss dagegen unisono als Rückschlag. „Fatalerweise gelang es den Staats- und Regierungschefs, die ohnehin schon geringen Erwartungen noch einmal zu unterbieten“, sagte die WWF-Expertin Regine Günther. Dass liegt daran, dass – um überhaupt eine Einigung zu erzielen –, „sehr viele Brücken gebaut werden mussten“, wie der Sprecher von EU-Ratschef Herman Van Rompuy sagte.

 

Zentrale Zusage ist, dass der Ausstoß des Treibhausgases CO² bis 2030 um mindestens 40 Prozent verglichen mit dem Ausgangsjahr 1990 sinken soll. Um das Wort „mindestens“ wurde lange gerungen, um noch Spielraum nach oben zu haben, da 40 Prozent von vielen Experten als unzureichend angesehen werden.

Der Emissionshandel bleibt auch künftig erhalten

Die Kanzlerin verwies jedoch darauf, dass das Aus für die Schwerindustrie der DDR und anderer Staaten Osteuropas die CO²-Einsparungen bisher relativ einfach gemacht habe – nun seien große Anstrengungen nötig. Der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese hob positiv hervor, „dass das Ziel durch Maßnahmen innerhalb der EU selbst erreicht werden soll“. Bisher können sich die EU-Staaten auch Förderprojekte in China oder Indien auf ihre CO²-Bilanz anrechnen lassen.

Das Hauptinstrument zum Erreichen des Ziels bleibt der Emissionshandel, dessen Luftverschmutzungszertifikate ständig knapper werden. Unter anderem auf deutschen Druck hin bleibt es auch weiterhin möglich, energieintensive Industrieanlagen auszunehmen, „solange in anderen führenden Wirtschaftsnationen keine vergleichbaren Anstrengungen unternommen werden“, wie es im Gipfeltext heißt. Das soll Verlagerungen ins Ausland wegen zu hoher Energiepreise verhindern. Der Wirtschaft geht das nicht weit genug. Merkel & Co. hätten, wie der Dachverband BusinessEurope mitteilte, „nicht die Stärke gehabt, die Klimapolitik an der Wettbewerbsfähigkeit auszurichten“.

Deutschland strebt schon 2020 ein Minus von 40 Prozent an

Ein polnischer EU-Diplomat, der sich für die Verhandlungen eigens Manschettenknöpfe aus Kohle hatte anfertigen lassen, zeigte sich in der Nacht zufrieden mit den Ausnahmen, die seine Ministerpräsidentin Ewa Kopacz für die Kohlekraftwerke des Landes erreicht hatte. Erst die weitgehende Zusage, dass Mitgliedstaaten mit einer Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung von weniger als 60 Prozent des EU-Durchschnitts 40 Prozent der Verschmutzungsrechte umsonst an ihre Betriebe ausgeben dürfen, löste die Warschauer Blockade und machte den nächtlichen Deal möglich.

Dazu gehört auch, dass zwei Prozent aller CO²-Zertifikate für diese ärmeren Länder zurückgehalten werden – im Gegenzug verpflichten sich diese immerhin dazu, Einnahmen aus dem Emissionshandel in die „Modernisierung des Energiesektors“ zu investieren und nicht einfach nur so in den Haushalt zu übernehmen.

Auch bei den nicht vom Emissionshandel erfassten Bereichen wie dem Verkehr oder den Privathaushalten gilt das Prinzip, dass jene EU-Staaten mit einer überdurchschnittlichen Wirtschaftsleistung mehr CO² einsparen müssen. Die Kanzlerin verwies darauf, dass Deutschland schon 2020 ein Minus von 40 Prozent anstrebt. „Wir werden damit klarkommen.“

Beim Energieeffizienz-Ziel war eine Einigung schwieriger

Im Gegensatz zum CO²-Reduktionsziel, das nun auf verpflichtende nationale Unterziele heruntergebrochen wird, erfolgt dies im Gegensatz zu jetzt bei den erneuerbaren Energien nach 2020 nicht mehr. Dann wird es nur noch ein auf EU-Ebene verbindliches Ziel geben, den Anteil von Sonnenenergie, Windkraft und Biomasse am Gesamtenergieverbrauch auf 27 Prozent zu erhöhen. Dies soll lediglich damit erreicht werden, dass „nationale Pläne zu erneuerbaren Energien“ in Brüssel vorgelegt werden – gleichzeitig legte der Gipfel fest, dass es keine Brüsseler Vorgaben für den Energiemix eines Landes geben darf.

Während der britische Premier David Cameron den Beschluss als „kosteneffizient“ lobte, sagte die grüne Fraktionschefin im EU-Parlament, Rebecca Harms, er fungiere als „Beruhigungspille für Mitgliedstaaten wie Großbritannien und Polen, die auf riskante und schmutzige Energiequellen wie Atom, Kohle und Schiefergas zurückgreifen wollen“.

Wirtschaftsminister Gabriel spricht vom gordischen Knoten

Kanzlerin Merkel wertete als deutschen Erfolg, dass eine wettbewerbsrechtlich konforme Förderung der erneuerbaren Energie auch dann möglich bleibe, wenn man über die 27 Prozent hinausgehe, was Deutschland im Zuge der Energiewende tun will. Dagegen kritisierte der SPD-Europaabgeordnete Matthias Groote, die Regierungen scheinten das „enorme Potenzial“ von Sonne und Wind „schlichtweg zu ignorieren“: „So könnten wir effiziente Klimapolitik in Europa vergessen und die Energiewende wird vor die Wand gefahren.“ Sein Parteifreund, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), wiederum hielt dagegen: „Auch wenn sich Deutschland mehr gewünscht hätte, begrüße ich, dass der gordische Knoten zwischen den unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten durchgeschlagen werde konnte.“

Der Preis dafür war unter anderem, dass die Höhe der angestrebten Energieeinsparungen quasi in letzter Minute gesenkt wurde. Das Europaparlament hatte ein Effizienzziel von 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 2005 gefordert, die EU-Kommission Ende Januar schließlich 30 Prozent vorgeschlagen. Erst am Tag des Gipfels schließlich verweigerte EU-Diplomaten zufolge der Brite Cameron die Zustimmung zu dem ohnehin nur als Richtwert vorgesehenen Ziel – es wurden am Ende „mindestens“ 27 Prozent mit der Ansage, im Jahr 2020 noch einmal zu prüfen, ob es nicht doch 30 Prozent sein sollten. Ein Diplomat berichtete, „innenpolitische Gründe auf der Insel“ hätten den Ausschlag gegeben, da dort die Energiespargesetze zu Glühbirnen, Kaffeemaschinen oder Staubsaugern besonders heftig angegriffen worden war.

Nun muss die EU-Kommission diese Grundsatzbeschlüsse in konkrete Gesetzesvorschläge ummünzen. „Dies gibt Parlament und Kommission die Möglichkeit“, so der CDU-Politiker Liese, „die Ambitionen in den nächsten Monaten und Jahren zu erhöhen.“