Das Land wie die Stadt greifen womöglich in den Schadenersatz-Topf der Allianz-Versicherung. Zwei Drittel der Summe könnten so den geschädigten Hauseigentümern entgehen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Böblingen - Mindestens einer hat sich ein Wasserbett gekauft. Dessen Matratze gleicht Unebenheiten aus. Er wollte endlich wieder gerade schlafen in seinem Haus, das sich um zwölf Zentimeter aus der Waagrechten geneigt hat. So erzählt er es im Gemeindesaal, der voll ist, wie immer, wenn das Landratsamt über die Erdhebungen in Böblingen informiert. Jeder, der hier sitzt, könnte ähnliche Geschichten erzählen. Roland Bernhard, der Landrat, zählt die bisherigen Erfolge auf und mahnt zu der Geduld, die manchem abhandengekommen ist. Davon zeugen die vorwiegend kritischen Wortmeldungen genauso wie die Klagen, die entgegen jedem Rat einzelne Betroffene eingereicht haben.

 

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Die jüngste Botschaft, die an den Nerven nagt, stammt von amtlicher Seite. Von den aktuell zwölf Millionen Euro, die die Allianz als Schadenersatz anbietet, könnten rund zwei Drittel in die Staatskasse fließen. Auf die Betroffenen entfiele nur ein anteilig zu verteilender Rest. 7,5 Millionen Euro hat das Land bezahlt, gleichsam als Soforthilfe, um die Bohrlöcher zu sanieren und so unabhängig von Schuldfragen und juristischem Geplänkel die Erdhebungen zu stoppen. Dies scheint endgültig im gesamten Hebungsgebiet gelungen, auch wenn der letzte Beweis dafür aussteht. Zu den Ansprüchen des Landes kommen die der Stadt, Geld, das für die Reparatur geborstener Rohre oder gewellter Straßen ausgegeben werden musste.

Juristisch dürfen Stadt und Land womöglich nicht verzichten

Stefan Belz, Böblingens Oberbürgermeister mit Parteibuch der Grünen, versichert, dass er auf die Rückzahlung gern verzichten würde. „Aber wir gehen mit Steuergeld um, wir müssen abwarten, was bei der juristischen Prüfung rauskommt“, sagt er. Heißt: Womöglich darf die Stadt nicht verzichten. Davon abgesehen, hat der Gemeinderat bei dieser Entscheidung mitzureden. Eine Stufe höher in der politischen Hierarchie dürfte die Stellungnahme kaum anders ausfallen. Zumindest hat der Umweltminister Franz Untersteller, ebenfalls ein Grüner, bisher keine Verzichtserklärung abgegeben. Am 5. September beginnen Verhandlungen dazu. Der Landrat soll sie führen. „Ich weiß noch nicht, wie das Land tickt“, sagt er. Bernhards Ziel für die Gespräche ist eindeutig: „Dass Stadt und Land den Topf leer machen, darf nicht sein“, sagt er.

Verhandeln wird der Landrat auch an der zweiten finanziellen Front – mit der Allianz. Deren Berechnungen für die Höhe des Schadenersatzes fußen darauf, dass Gutachter das Hebungsgebiet in zwei Teile gliedern, wofür gemäß Versicherungsrecht jeweils fünf Millionen Euro fällig werden. Hinzu kommen zwei Millionen pauschal für den gesamten Schaden. Das Landratsamt glaubt hingegen beweisen zu können, dass von drei getrennten Hebungsgebieten auszugehen ist. Damit würde sich die Entschädigung um weitere fünf Millionen Euro erhöhen. Die Argumentation ist eine geologische. Demgemäß soll ein Gutachten des Landesamts für Geologie die Annahme stützen. Bis zu dessen Veröffentlichung wird aber ein halbes Jahr verstreichen.

Wer zu früh saniert, riskiert neue Schäden

Nicht nur der Landrat, auch die Interessengemeinschaft Erdhebungen mahnen zu Ruhe und Einigkeit. Allein schon aus Eigennutz: Noch ist nicht bewiesen, dass die Erde zur Ruhe gekommen ist. Wer frühzeitig sein Haus sanieren lässt, riskiert künftige Schäden, die keine Versicherung zahlen wird. Ohnehin sind die Reparaturkosten für weite Teile des Gebiets noch nicht einmal geschätzt. Mithin ist unklar, ob zwölf Millionen Euro womöglich schon für alle Reparaturen reichen würden.

Ungeachtet dessen rüstet sich mancher bereits juristisch, um mögliche Verluste anderweitig einzutreiben. Zumindest theoretisch können Geschädigte Nachbarn verklagen, die Bohrungen in Auftrag gegeben haben. Der Ausgang ist allerdings völlig offen: Einen Fall wie den in Böblingen gab es bundesweit noch nicht.