Die neue Praxis der baden-württembergischen Kommunen zur Ermittlung der Abwassergebühr ist rechtswidrig. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Stttgart - Die Stellungnahme von Jörg Klingbeil, dem baden-württembergischen Beauftragten für den Datenschutz, fällt eindeutig aus: "Die zum Zweck der Einführung der gesplitteten Abwassergebühr von zahlreichen Gemeinden vorgenommene Erhebung von Daten durch den Erwerb von Luftbildaufnahmen...ist mangels Rechtsgrundlage aus datenschutzrechtlicher Sicht derzeit nicht zulässig."

 

Damit stellt Klingbeil die in den vergangenen zwölf Monaten von rund 90 Prozent der Kommunen im Land durchgeführte Lufterfassung der Privatgrundstücke zur Ermittlung der gesplitteten Abwassergebühr in Frage. Sollten sich die Richter in einem sich abzeichnenden Prozess vor einem Verwaltungsgericht und abschließend vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg der Meinung des Datenschutzbeauftragten anschließen, könnte das dazu führen, dass sämtliche in diesem Zusammenhang vom Landesamt für Geoinformationen und Landesentwicklung oder von privaten Firmen gemachten Luftbildaufnahmen vernichtet werden müssen.

Die Kommunen wiederum hatten sich bei ihrer Entscheidung für diese Methode auf der sicheren Seite gewähnt. Denn das baden-württembergische Innenministerium hatte im vergangenen Jahr eine entsprechende Empfehlung an die Städte und Gemeinden im Land herausgegeben.Sie erschien den Verantwortlichen ein praktikabler Weg, um die seit Jahren bekannte, aber zunächst nicht wirklich ernst genommene EU-Vorgabe zur gerechten Ermittlung der Wasser- und Abwassergebühr zeitnah umzusetzen. Dann hatte plötzlich die Zeit gedrängt. Die gesplittete Abwassergebühr musste rückwirkend zum 1.Januar 2010 eingeführt werden.

Bei den Bildern handelt es sich um personenbeziehbare Daten

An einer datenschutzrechtlichen Beratung habe das Innenministerium seinerzeit kein Interesse gehabt, sagt nun der stellvertretende Datenschutzbeauftragte des Landes, Peter Diekmann: "Wir haben unsere Hilfe schon lange vor dem Schreiben des Ministeriums angeboten. Aber bei uns hat sich niemand gemeldet."

"Es hat Gespräche gegeben", erklärt Günter Loos, ein Sprecher des Innenministeriums zu den Vorwürfen. Allerdings könne er keine Aussagen dazu machen, wann diese geführt worden seien. Zwar bestätigt Loos, dass es "unterschiedliche Rechtsauffassungen zwischen dem Landesbeauftragten und dem Innenministerium" bei den Abwassergebühren gebe: "Wir sind aber immer noch der Meinung, dass alles rechtens ist." Begründen will Loos diese Position nicht. Man sei dabei, das Gutachten von Klingbeil aufzuarbeiten. Es handele sich um ein schwebendes Verfahren.

Da wird der Datenschutzbeauftragte deutlicher. Weil die gestochen scharfen Luftbildaufnahmen eine Bodenauflösung von zehn, teilweise sogar von nur fünf Zentimetern haben, handele es sich damit um "personenbezogene oder zumindest personenbeziehbare Daten". Eine Verarbeitung dieser sei nur zulässig, wenn das Landesdatenschutzgesetz oder eine andere Rechtsvorschrift das erlaube - oder wenn der Betroffene eingewilligt habe.

Es besteht ein Unterschied zwischen Google Earth und einer Kommune

Rechtlich auf der sicheren Seite, so der Datenschutzbeauftragte, wären die Kommunen gewesen, wenn sie zunächst die Bürger mit Hilfe von Fragebogen auf ihre Auskunftspflicht hingewiesen hätten. Erst wenn diese Methode nicht zum Ziel geführt hätte, hätte man über andere Maßnahmen nachdenken dürfen.

Verunsicherung herrscht nun beim Städte- und beim Gemeindetag Baden-Württemberg. Allerdings haben beide Institutionen schon reagiert und in einem gemeinsamen Schreiben das Innenministerium und den Datenschutzbeauftragten zu einem klärenden Gespräch gebeten.

Ins Rollen gebracht hat die Sache der Unternehmer Rolf Hirsch aus Lenningen (Kreis Esslingen). Als in seiner Gemeinde über die Ermittlungsmethode für die neuen gesplitteten Abwassergebühren diskutiert wurde, hatte er im Rathaus nach den Rechtsgrundlagen für die vom Gemeinderat beschlossenen Luftbildaufnahmen gefragt - und nur ausweichende Antworten erhalten.

Der Bürgermeister etwa habe auf Google Earth verwiesen. "Es ist aber nun einmal ein Unterschied, ob ein privater Anbieter Fotos macht, oder ob das eine Kommune tut, um hoheitliche Aufgaben wahrzunehmen", sagt der Jurist Michael Wackenhuth, der Thomas Hirsch berät.Natürlich sei klar, dass eine Kommune Abwassergebühren erheben müsse. Es gehe aber um die grundsätzliche Frage, ob Kommunen ohne Rechtsgrundlage in das informelle Selbstbestimmungsrecht der Bürger eingreifen dürften. Ob das in diesem Fall geschehen ist, wollen Wackenhuth und Hirsch nun vom Verwaltungsgericht klären lassen.


Stellungnahme: Der Landesbeauftragte für den Datenschutz hat darauf verzichtet, das Verfahren der Gemeinde Lenningen (Kreis Esslingen) zu beanstanden. Er tue das im Hinblick darauf, "dass das Innenministerium die genannten Vorgehensweisen, entgegen meiner Auffassung, für rechtmäßig hält und die Gemeinden entsprechend informiert hatte".

Klage: Als Kläger kommt nur ein Bürger in Frage, der sich durch die Luftbildaufnahmen in seinem informellen Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt sieht. Der in Lenningen wohnende Unternehmer Rolf Hirsch hat bereits angekündigt, zunächst von einem Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Luftaufnahmen prüfen zu lassen.