In Geislingen steht das Schicksal der ehemaligen WMF-Zwangsarbeiterinnen im Fokus einer neuen Veranstaltungsreihe.
Geislingen - Das vielfach ungeklärte Schicksal der ehemaligen WMF-Zwangsarbeiterinnen ist das Thema einer Veranstaltungsreihe, die die Kulturwerkstatt der Geislinger Rätsche initiiert hat. Am Freitagabend werden die Namen von 115 Frauen und Mädchen verlesen. Sie gehören zu jenen 800 Frauen, die in den Jahren 1944 und 1945 im Geislinger Außenlager des KZ Natzweiler lebten und in der Rüstungsproduktion der WMF schufteten. Die Identität ihrer vielen Leidensgenossen ist nicht bekannt. Ein von der Evangelischen Freikirche organsierter Gedenkmarsch vom Lager zur WMF ist für den kommenden Mai geplant, und der Stolpersteinerfinder und Künstler Gunter Demnig wird im September eine Stolperschwelle verlegen.
Die Identität der meisten Frauen ist ungeklärt
„Es ist mir das Wichtigste, dass wir jetzt die Namen der 115 Frauen und Mädchen verlesen und bisher anonymen Opfern wenigstens ihren Namen wiedergeben“, erklärt Hansjörg Gölz, der zusammen mit Mitgliedern der Kulturwerkstatt am Freitag in der Geislinger Rätsche den Abend zum Gedenken der 800 jüdischen Ungarinnen gestalten wird. Gölz bemüht sich seit vielen Jahren um Erkenntnisse über die Geislinger Zwangsarbeiterinnen, die – im Vernichtungslager Auschwitz als arbeitsfähig aussortiert – mit dem Transport nach Schwaben vermutlich dem Tod in der Gaskammer entrinnen konnten.
Die Jüngsten waren elf und 14 Jahre alt
Nachdem bereits seit 1940 polnische und russische Kriegsgefangene zu Arbeitseinsätzen zur WMF gebracht wurden, fristeten 1943 wohl bereits 2000 Fremdarbeiter aus 19 Nationen ihr Dasein in der Stadt. Barackenlager entstanden auf dem Gelände der Grube Karl, im Notzental und im Talgraben. Weil gegen Kriegsende vermutlich keine Männer mehr zur Verfügung standen, bot offenbar die SS der WMF die 800 Frauen und Mädchen aus Ungarn als Arbeitskräfte an. Das genaue Alter der Arbeiterinnen ist nicht bekannt, bisher war die Rede von einer Altersspanne von 15 bis 45 Jahren. Gölz’ Recherchen haben aber ergeben, dass sogar elf- und 14-jährige Mädchen darunter gewesen sein könnten. Untergebracht waren die Ungarinnen in dem Barackenlager, das die WMF an der Heidenheimer Straße eingerichtet hatte.
Kontakt zur Holocaustgedenkstätte in Jersulaem
Der frühere Geislinger SPD-Fraktionssprecher Gölz möchte nun alles versuchen, um wenigstens alle Namen der Ungarinnen zu ermitteln. Unterstützt von einem Schreiben von Oberbürgermeister Frank Dehmer und weiteren Mitstreitern, habe er bereits mit der Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Yad Vashem Kontakt aufgenommen, wo er sich in zwei Aktenordnern mit der Aufschrift „WMF“ weitere Unterlagen zu den Zwangsarbeiterinnen erhoffe.
Gölz freut sich, dass sich nach den Anfeindung in den 1980er Jahren das Klima in der Stadt gewandelt habe. „Mir geht es um die Geislinger, sie müssen sich damit beschäftigen. Wir müssen dazu stehen, dass es so etwas gab, das ist unsere Verantwortung und ganz im Sinne der Demokratie“, beschreibt er seine Motivation. Bisher konnte er lediglich von einer KZ-Außenlagerbewohnerin einige biografische Daten zusammentragen, die er ebenfalls am Freitag vortragen möchte.
Ideelle und finanzielle Unterstützung hat auch die WMF signalisiert, die die Veranstaltungsreihe begrüßt. „Wir stehen hinter allen Bemühungen, das Schicksal dieser Frauen zu erforschen. Und wenn Anfragen kommen, werden wir überlegen, was wir tun können“, sagte ein WMF-Sprecher.
Veranstaltungsreihe:
Am Freitag um 20 Uhr gestalten der Rätschechor und die Kulturwerkstatt der Geislinger Rätsche einen Abend zum Gedenken an die WMF-Zwangsarbeiterinnen. Renate Menzel und Bernhard Brendle musizieren, die Historikerin Lisa Rapp wird über das Geislinger Außenlager des KZ-Natzweiler berichten.
Gedenkmarsch
Die evangelische Freikirche veranstaltet am 8. Mai einen Marsch vom Lager zur WMF mit einer Versammlung in der Geislinger Jahnhalle. Außerdem sind eine Exkursion zum Jüdischen Friedhof in Göppingen-Jebenhausen und die Verlegung einer Stolperschwelle in der Eberhardstraße geplant.
Nachgefragt bei Sabine Reiff