Jeder kennt die 3,5-Zoll-Disketten, manche noch die 5,25-Zoll-Disketten, aber ich kenne noch die 3,25-Zoll-Disketten. Sie waren in Plastikboxen untergebracht, ähnlich wie Musikkassetten, und hatten auch zwei getrennt bespielbare Seiten. Man konnte sie also einmal links rum und einmal rechts rum einlegen. Meinen Schneider PC hatte ich Ende der 80er Jahre von meinem Kumpel ausgeliehen, der fand, ich sollte damit Gedichte schreiben. Ein anderer Kumpel fand, ich sollte meine Gedichte mit einer Goldfeder schreiben. Ich fand, ich sollte meine Hausarbeit über die Wortbildung des Gotischen damit schreiben. Das Problem war eigentlich nur, dass es keinen Zeichensatz für gotische Buchstaben gab, und der Buchstabe Thorn, ein Strich mit Bauch, war zwar irgendwo im Ascii-Satz drin, aber wo?

 

Ein Freund, heute würde man Nerd sagen, dessen hauptsächlicher Besitz ein Computer, ein Regalbrett und Stalins gesammelte Werke waren, vermittelte mich nach Stuttgart, wo sein Kumpel ein Zeichentabellenprogramm besaß, das Kermit hieß. Ein Name, der einleuchtete, weil die Schrift auf den Monitoren damals noch so schön grün war. Wir tranken Bier und übersetzten den Ascii-Code ins Gotische: eine Sprache, die zum letzten Mal 500 n. Chr. auf irgendwelchen Computerschirmen gewesen sein muss.

Ich schrieb die Hausarbeit auf der einen Seite der Diskette und beschloss dann, die andere Seite frisch zu formatieren für die Gedichte. Was ich nicht wusste: Es formatiert immer beide Seiten der 3,25-Zoll-Diskette. Hatte ich schon erwähnt, dass der geliehene PC keine Festplatte besaß? Es war alles weg. Ich fluchte in Neu-, Mittel- und Althochdeutsch, Gotisch und vermutlich auch noch in Gemein- und Urgermanisch. Beruhigte mich, als ich noch einen Ausdruck fand, den ich meiner Professorin abgeben konnte. Mein nächster Computer, das war 1991, hatte dann eine Festplatte, ein heißes Teil mit sage und schreibe 40 Megabyte.

Ulrich Stolte Foto: Horst Rudel

Ulrich Stolte (49) arbeitet in der Kreisredaktion Esslingen. Er studierte in Tübingen Rhetorik und Germanistik, promovierte über den zu Recht vergessenen Dichter, dem Friedrich Hölderlin eine Ekloge gewidmet hatte, und erhielt im Jahr 1990 für eines seiner Computer-Gedichte den Nikolaus-Lenau-Preis. Seine frühen Romane bewahrt er bis heute auf 5,25-Zoll-Disketten auf, für die er einen PC mit einem entsprechenden Laufwerk umgerüstet hat.