"Rassenbiologische Begutachtung"


Trotz der minutiösen Vorbereitung sahen sich die Beamten im Sammellager Hohenasperg vor ein Problem gestellt: für einen Teil der eingelieferten Personen lag kein rassenbiologisches Untersuchungsergebnisvor. Eine "Rassendiagnose" als "Zigeuner" oder "Zigeunermischling" war aber Voraussetzung. Das Reichskriminalpolizeiamt Berlin wurde verständigt. In den frühen Morgenstunden des 18. Mai traf der "Sachverständige" Dr.Würth in Asperg ein. Er war Mitarbeiter der "Rassenhygienischen Forschungsstelle", die die systematische Erfassung aller im Deutschen Reich lebenden Sinti und Roma betrieb. Nach seiner im Schnelldurchlauf durchgeführten "rassenbiologischen Begutachtung" wurden schließlich 22 Personen als "Nichtzigeuner" eingestuft und von der Deportation ausgenommen.

Nachdem die Deportationszüge aus den Sammellagern in Hamburg und Köln schon am 20. und 21. Mai abgegangen waren, konnte, so der Bericht, die "Verladung" der Sinti- und Roma-Familien am Bahnhof Asperg aufgrund der Verzögerung erst am 22.Mai ab 10 Uhr erfolgen. Eines der Fotos, das die Täter von der Aktion aufgenommen haben, zeigt die Menschen, wie sie mit ihren Koffern von uniformierten Polizisten bewacht durch die Straßen Aspergs zu den Zügen geführt werden. In der Vergrößerung sieht man, dass die Menschen ihre besten Kleidungstücke tragen. Auch der hohe Kinderanteil ist erkennbar. Ebenso erschreckend ist indes die scheinbare Normalität des Vorgangs, der sich am hellen Tag vor aller Augen vollzog. Die Zuschauer am rechten Bildrand beobachten ohne erkennbare Regung den Zug der Menschen. Im Hintergrund sieht man die Festung Hohenasperg. Im Bericht der Kripostelle Darmstadt heißt es dazu lapidar: "Der Abtransport ging glatt vonstatten."

Die Beamten verließen Asperg am folgenden Tag. Zusammenfassend heißt es in ihrem Bericht: "Die Behandlung der Zigeuner im Sammellager brachte viel Arbeit mit sich und wurde genau nach dem Erlaß durchgeführt." Ein Kriminalinspektor namens Feik machte in einer gesonderten "Anlage 8" konkrete Verbesserungsvorschläge. So empfahl er etwa: "Bei weiteren Evakuierungen vorher genaue Fahrpläne beschaffen." Feiks Anlage endet mit den Worten: "Eine werdende Mutter ist besser zu transportieren und zu behandeln als eine stillende Mutter. Bei der Abschiebung befanden sich Kinder, die am 3. bzw. 5.5.1940 geboren wurden. Die Behandlung der Wöchnerinnen mit ihren Säuglingen im Lager und während dem Transport brachte viel Arbeit mit sich." Zum Schicksal der Opfer findet sich hingegen kein Wort. Wir erfahren nur, dass die Deportation der insgesamt 490 Menschen "mit Sonderzug über Nürnberg, Hof, Hirschberg, Görlitz, Camenz nach Jedrzejow" erfolgte.

Was sich für die Vollzugsorgane von Himmlers Deportationsbefehl als "harte Arbeit" darstellte, war für die Opfer eine traumatische Erfahrung, die sich in ihrer Tragweite kaum ermessen lässt. Auch wenn die deutschen Sinti und Roma seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten einem schrittweise erfolgenden Prozess der Entrechtung und Ausgrenzung ausgesetzt worden waren - bis hin zur Ghettoisierung in KZ-ähnlichen Lagern: mit den Deportationen im Mai 1940 vollzog sich der totale und endgültige Ausschluss aus der deutschen Gesellschaft. Dass die Überlebenden nach dem Krieg oftmals Jahrzehnte um die Anerkennung ihrer deutschen Staatsbürgerschaft kämpfen mussten, zählt zu den dunkelsten Kapiteln der Nachkriegszeit.