Warum der Dialog zwischen Deutschen und Schweizern bisweilen gehörig schief läuft, erläutert StZ-Redakteur Knut Krohn.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Zürich - Die Schweizer haben ein schönes Wort: Heimlifeisser. Das ist ein Mensch, der notorisch unterschätzt wird, jemand, der sich selbst klein macht, um in Ruhe seinen Geschäften nachzugehen. Die Eidgenossen sind ein Volk von Heimlifeissern. Oder erinnert sich etwa jemand daran, was die Schweiz zur Rettung des Euro getan hat? Mit Stützungskäufen in dreistelliger Milliardenhöhe hat die Nationalbank in Bern die Aufwertung des Franken eingedämmt und dadurch auch in einer sehr kritischen Phase substanziell zur Stabilisierung des Euro beigetragen. Das alles ging, typisch Heimlifeisser, extrem geräuschlos über die Bühne.

 

Auch die Schweizer Banken verdanken diesem Prinzip ihren Erfolg. Die Reichen der Welt bunkern dort ihr Geld und konnten immer auf die verständnisvolle Diskretion der Eidgenossen zählen. Doch damit ist nun Schluss. Es tobt die Finanzkrise, und die anderen Staaten, allen voran Deutschland, wollen ihren gerechten Anteil vom heimlich geparkten Überfluss abhaben. Die Verständigung sollte dabei ziemlich leichtfallen, schließlich spricht man dieselbe Sprache. Das aber ist ein Trugschluss, denn nicht immer haben die gleichen Wörter auch dieselbe Bedeutung – abgesehen davon, dass mit dem Frontalangriff auf das Schweizer Bankgeheimnis an einer Säule des nationalen Selbstverständnisses gerüttelt wird. „Wir leben seither in einer Art Schock“, umschrieb die ehemalige Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey den Gemütszustand ihres Volkes. „Man könnte vielleicht sogar von einem nationalen Trauma sprechen.“

In der Schweiz entscheiden sich die Bürger für höhere Steuern

Das grundsätzliche Missverständnis zwischen Deutschen und Schweizern beginnt schon mit dem Wort „Steuern“. Darunter verstehen die Eidgenossen nicht den Tribut, den die Obrigkeit einfordert und auch, wie in Deutschland üblich, direkt beim Arbeitgeber eintreiben kann. Steuern, das ist der Beitrag, den der Einzelne für die Gemeinschaft abgibt und über dessen Höhe er selbst entscheidet. In der Schweiz gibt es Volksabstimmungen über Steuererhöhungen, die auch eine Mehrheit finden. Das System funktioniert – grob gesagt – von unten nach oben, in Deutschland von oben nach unten. Wenn die Deutschen so hohe Steuern haben, dann sind sie eben selbst schuld, ist bisweilen zu vernehmen.

Der von Calmy-Rey angesprochene „Schock“ wurde aber auch durch die Art ausgelöst, wie die deutschen Forderungen an die Schweiz herangetragen wurden. Der damalige Finanzminister Peer Steinbrück drohte vor drei Jahren mit der Kavallerie, die er ausreiten lassen wollte. Ein solch brachialer Satz entspricht nicht der helvetischen Streitkultur. Wenn Schweizer eine Auseinandersetzung beginnen, haben sie vom ersten Satz an den Kompromiss im Hinterkopf. Es wird in der Regel zuerst einmal viel um den heißen Brei herumgeredet, während ein Deutscher sofort krachend die Fakten auf den Tisch knallt. Am Rande erwähnt sei, dass ein Zwerg im Beisein eines zornigen Riesen sich immer eher unbehaglich fühlen wird.

Dieser fast zwanghafte Hang zum Kompromiss erklärt sich aus der Geschichte der Schweiz als Nation. Das Land besteht aus drei großen Kulturkreisen und hat keine eigentlichen Sprachgrenzen. Das heißt: um als Nation bestehen zu können, müssen die Eidgenossen sich vor allem durch den eigenen Willen von den Nachbarn abgrenzen. Verstärkt wird diese Haltung durch die Erfahrung des vergangenen Jahrhunderts, in dem es der Schweiz gelang, sich aus zwei Weltkriegen herauszuhalten. Das prägte auch das Verhältnis zu internationalen Organisationen wie etwa der EU. Während andere Staaten mit Macht in die EU strebten, hielt sich die Schweiz heraus, blieb „neutral“ und verharrte in einem Zustand der Selbstgefälligkeit. Gleichzeitig suchen die Politiker in Bern – ihrer Natur folgend – aber auch mit der EU den Kompromiss und versuchen über inzwischen mehr als 120 bilaterale Verträge das Zusammenleben zu regeln.

Die Welt um die Schweizer herum hat sich rasant verändert

Dieser Zwiespalt von globalem wirtschaftlichem Erfolg und der politischen Abgrenzung stürzt die Schweizer inzwischen allerdings in eine tiefe Identitätskrise. Sie spüren, dass sich die Welt, vor allem nach dem Fall der Mauer im Jahr 1989, um sie herum rasant verändert, während im eigenen Land das Schweizerdeutsch eine große Renaissance erlebt. Viele Schweizer trauern einer Heimat nach, die es in dieser Weise nicht mehr gibt. Dieser Abgrenzungspatriotismus führt natürlich zu Ressentiments gegenüber den Fremden, zu denen vor allem auch die Deutschen gehören. Gerade im Grenzgebiet, wo Zehntausende von „Gastarbeitern“ ihr Geld verdienen, wird laut über den Verlust der kulturellen Identität geklagt. Der hitzige Streit über eine Beschränkung der Anflugrechte auf den Flughafen Zürich wirkt da wie Öl auf eine glimmende Glut.

Allerdings fordern inzwischen viele Schweizer eine Abkehr von dieser Politik der Abgrenzung. Tim Guldimann, Schweizer Botschafter in Berlin, plädierte in einem Vortrag für ein „europaoffenes Selbstvertrauen“ seiner Landsleute. Er hebt die Verdienste der Schweiz für die europäische Einigung heraus. So sind für viele Milliarden Franken Eisenbahntunnel durch die Alpen gebohrt worden, um die europäische Nord-Süd-Transportachse von Hamburg bis Genua Wirklichkeit werden zu lassen. Das alles ist direkt-demokratisch realisiert worden. Und auch Guldimann unterstreicht die wichtige Rolle der Schweizer Nationalbank bei der Rettung des Euro. Das alles sei „medial viel zu wenig ausgeschlachtet worden“, urteilt der Botschafter. Der Diplomat, der fast sein halbes Leben im Ausland verbracht hat, verlangt von seinen Landsleuten nicht gerade wenig, denn die Schweizer müssten sich im Grunde neu erfinden. Die Chancen dafür stehen allerdings nicht schlecht, denn ein Heimlifeisser zeichnet sich nicht nur durch sein Beharrungsvermögen aus, er ist auch extrem lernfähig.

– Paris schließt Abkommen aus