Im März 1945 begegnen sich zwei Esslinger auf der Mettinger Neckarbrücke. Einer ist ein zwölfjähriger Junge, der andere ein Jagdflieger in einer P-47 Thunderbolt.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Ein guter Tag zum Heu holen, meinte der Großvater noch. Dass es auch ein guter Tag zum Sterben sein könnte, daran hat er nicht gedacht.

 

Ende März 1945, die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs im Mittleren Neckartal. Die amerikanischen Truppen rückten von Norden an, Luftangriffe waren an der Tagesordnung, amerikanische und britische Tiefflieger durchzogen das Tal. Sie schossen auf alles, was sich bewegte.

Als der Großvater Wilhelm Lengerer mit dem Leiterwagen und dem zwölfjährigen Willi Lengerer auf der Mettinger Neckarbrücke in Esslingen steht, wähnen sie sich schon fast in Sicherheit. Da hören sie Motorengeräusche. Zwei P-47 Thunderbolt fliegen auf die Brücke zu, panisch werfen sich der Opa und sein Enkel hinter den Leiterwagen in Deckung. Ohne zu feuern, ziehen die Maschinen hoch. Glück gehabt. Tief verstört wandern die beiden heim, verstehen nicht, warum die Piloten sie verschont haben.

Was im Nachhinein beinahe als ganz unmöglich erscheint, hat der heute 80-jährige Willi Lengerer geschafft. Er hat den Mann in der Pilotenkanzel ausfindig gemacht und dabei die Überraschung seines Lebens erlebt. Der Mann am Steuerknüppel hatte zwar eine amerikanische Uniform getragen, er war aber Deutscher, und nicht nur das: Er war ein schwäbischer Landsmann aus Mettingen. Willi Lengerer stammt aus Brühl, ebenfalls einem Esslinger Stadtteil, der Mettingen gegenüber liegt. Der Pilot war Karl Klein, geboren 1918, der 1920 mit seinem Vater nach Amerika auswanderte. Er kam im Jahr 1939 wieder nach Mettingen, um auf der bekannten Esslinger Maschinenbauschule zu studieren, doch die Nazis vereitelten seine Pläne. Also ging er in die USA zurück und wurde später zur US Air Force eingezogen.

Nach der Landung in der Normandie flog er von Metz aus seine Angriffe auf Nazi-Deutschland. Dass er den Leiterwagen der Lengerers nicht attackierte, soll ihm einen Tadel seines Vorgesetzten eingebracht haben, doch Karl Klein antwortete damals nur, er könne „einen Leiterwagen von einem Waffentransporter“ unterscheiden. Nach einem Angriff auf Echterdingen, als die Esslinger Flak seinen Flieger attackierte, soll er einmal spaßeshalber zu einem Geschwaderkollegen gesagt haben: „Da schießt jetzt mein Vetter auf mich“.

In Wirklichkeit war Karl Klein an jenem denkwürdigen Märztag durch das Neckartal gebraust, weil er Heimweh hatte und sehen wollte, ob Mettingen, sein Geburtsort, noch steht. Und diese Geschichte hat Karl Klein anlässlich eines Deutschlandbesuchs in Mettingen seiner Base Gerda Klein erzählt. Die wiederum berichtete Jahre später davon an ihrem Stammtisch im Mettinger Café Mocca, an dem zufällig auch Willi Lengerer saß.

Der Kreis schloss sich. Willi Lengerer schrieb nach den USA, doch Karl Klein war nicht mehr in der Lage zu antworten, nur seine Ehefrau Heidrun Klein meldete sich noch, um über die Hintergründe des Fluges zu berichten.

Etwa jeder sechste US-Amerikaner hat deutsche Wurzeln, und schon während des Krieges gab es Stimmen, die fragten, ob man sich auf diese Soldaten verlassen könnte in den Schlachten gegen Deutschland. Man konnte. Auch der Tapferkeit von Karl Klein aus Mettingen ist es zu verdanken, dass die Welt vom Nazi-Terror befreit wurde. Dass er während des Krieges den Anstand besaß,, nicht auf Zivilisten zu schießen, ehrt ihn doppelt.