Es war schön. Beim Ossitreff und in 45 Jahren. Die Kultband Puhdys aus Ostberlin hat den Beginn ihres Abschiedsjahres an den Neckar verlegt. Die Klassiker berühren immer noch, und alle singen mit.

Esslingen - Wir spielen bis zur Rockerrente“ – das haben die Puhdys schon vor 30 Jahren in einem Lied prophezeit – doch nun wollen sie damit Ernst machen. Im Neckarforum trafen sich am Samstagabend 1400 Menschen zum Konzert – und dabei hat man kaum schwäbische Laute gehört. Die Mannen um Dieter „Maschine“ Birr sind die Lieblingsband vieler Menschen, deren Wiege in Sachsen, Brandenburg oder Ost-Berlin stand. Und die nehmen, so sie jetzt hierzulande wohnen, gerne ein Angebot des „Ossi-Treff Baden-Württemberg“ an. Dabei geht’s dann zu wie beim Familienkaffee mit drei Generationen in einem Zimmer – oder wie beim Klassentreffen nach 30 Jahren. Augen glänzen, und alle singen mit.

 

Steffen Merten aus Löwenstein bei Heilbronn hat vor zehn Jahren damit begonnen, nebenberuflich jedes Jahr einmal für seine Landsleute ein Angebot mit beliebten Musikern aus der alten Heimat zu arrangieren. Selbst als Arbeitsnomade in den Neunzigern zugewandert, teilt er dieses Schicksal mit fast allen seinen Gästen. Und da muss es einfach sein, dass Fassbrause (rot oder weiß) ebenso ausgeschenkt wird wie Pils aus Saalfeld, und auf dem Grill liegen natürlich echte Bratwürste, ebenfalls aus Thüringen. Ein Schelm, der behauptet, nur Ossis mache das Schlangestehen dafür nichts aus. Selbst die wenigen Schwaben bruddeln nicht rum, sondern reihen sich ein. Und mancher sächsische Laut, der klingt schon ziemlich eingeschwäbelt.

Das Publikum hat die Inhalte zwischen den Zeilen verstanden

45 Jahre gibt es die Puhdys schon, 1969 spielte die Band ihr erstes Konzert – bis 1971 übrigens nur als Coverband. 25 Jahre sind seit der Wende vergangen – länger als die Zeit in der DDR, in der provokante Titel nicht gespielt werden durften. „Jeder hat seine Wurzeln“, meint der Keyboarder und Senior der Band, Peter Meyer, „wir sind aus Berlin.“ Die Musik sei nicht anders gewesen als im Westen, „nur die Inhalte waren unterschiedlich, wir durften eben im Osten nicht alles sagen und singen“. Die Ohren der Zuhörer seien „darauf geeicht gewesen, zwischen den Zeilen zu hören“. Wie beim „Ikarus“: „Steige Ikarus, flieg voraus, zeige uns den Weg“. Oder das Lied „Denke ich an Deutschland“, oder „Das Buch“, ebenfalls 1984, zwei Jahre vor Tschernobyl. In diesem Text wird davor gewarnt, dass der Mensch die Erde zerstört („aus zehn Milliarden Augen ein Trauerregen rann“). Das sentimentale Stück erklingt kurz vor halb zwölf als letzte Zugabe – und seine Schlussworte „Liebe und Geborgenheit“ bleiben im Raum stehen.

Das ist es, was viele Fans und Besucher hier spüren, und weswegen viele herkommen. Die meisten können fast alle Texte mitsingen, nicht nur die Klassiker, die in einem Block am Schluss der mehr als zwei Stunden erklingen („Alt wie ein Baum“, „Eisbären“, „Lebenszeit“, „Rockerrente“, „Wenn ein Mensch lebt“). Es ist schon erstaunlich, mit welcher Energie die fünfe agieren, nicht nur der Frontmann Dieter Birr. Stück folgt auf Stück, nur kurz die Gitarre gewechselt, kaum eine Zwischenansage als kurze Verschnaufpause. Die Musiker und ihr Publikum sind’s so gewohnt – „wir haben keine Lust, uns jetzt schon auszuruhn, wir haben Lust auf Abenteuer“, heißt es im Titellied eines Albums von 2009.

Manch einer muss bei dem Konzert eine Träne verdrücken

Die Puhdys waren in den Siebzigern nicht lange eine reine Ostband. Seit 1975, erzählt Meyer, seien sie im Westen unterwegs gewesen – zum Beispiel jedes Jahr im Advent in Villingen-Schwenningen. Apropos Spielverbot. Ein Lied sei sogar im bayerischen Rundfunk verboten worden: „Geh zu ihr“ – wegen sexistischer Inhalte. Sie haben halt die ganze Palette des Lebens in ihren Liedern zusammengefasst. Eines davon wird einer der Puhdys-Fans bei seiner Hochzeit in wenigen Wochen spielen lassen. David aus Görlitz findet, dass zu dieser Feier nichts besser passt als „Ich liebe dich“. Er ist von der Band begeistert, von ihren Texten, von der ehrlichen Rockmusik. Und Silke aus Pirna bei Dresden, die er hier gerade wieder getroffen hat, die erzählt begeistert, dass sie schon mit 13 Jahren einmal neben Maschine auf der Bühne stand. Das sei noch zu DDR-Zeiten gewesen – und die Band bis heute gut geblieben. „Man merkt einfach, dass die alle die Musik als Beruf gelernt haben“, sagt sie. Und bedauert, dass die fünf Rocker jetzt die Abschiedstournee angekündigt haben. „Es war schön“, heißt der Titelsong des jüngsten Albums dazu – was übrigens von der Band laut Peter Meyer gar nicht als Hymne zum Abschied gedacht war. Da muss mancher manche Träne verdrücken.

Auch Steffen Merten will Schluss machen – nicht mit dem Ossi-Treff, aber mit den Konzerten. „Ist alles vergessen, was einmal war“ – diese Liedzeile macht er sich zwar nicht zu eigen. Aber er merke, dass professionelle Veranstalter von der Popularität der Band profitieren wollen – „Die Puhdys kommen“, das Motto ziehe immer noch. Und wenn die Puhdys nicht mehr kommen, gibt es immer noch die Band, in der zwei Söhne und Schwiegertochter von Birr und Co. seit vielen Jahren spielen: Bell, Book and Candle. 8. Mai, Dieselstraße.

Die Band

Musiker
: Dieter „Maschine“ Birr (70, Gitarre), Dieter Hertrampf (69, „Quaster“, Gitarre), Peter Meyer (74, „Eingehängt“, Keyboard), Klaus Scharfschwerdt (60, Schlagzeug) und Peter Rasym (60, „Bimbo“ ,Bass) sind die Puhdys. Meyer, Hertrampf, Birr sind Gründungsmitglieder.

45 Jahre:
1969 wurde die Band gegründet, sie hat mehr als 35 Alben veröffentlicht, galt als beliebteste Rockband der DDR und nach der Wende als „die“ Vertretung des deutschsprachigen „Ostrock“.

Rockerrente:
Nach 45 Jahren hört die Band auf: im Herbst beginnt die Abschiedstournee. Die meisten Konzerte sind in Ostdeutschland.