Die Stadt modifiziert ihr Konzept zur Unterbringung von Flüchtlingen und wirbt in der Bevölkerung um Verständnis. Derweil kommen 200 weitere Asylbewerber in die Stadt.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Esslingen - Dieses Mal werden die Flüchtlinge voraussichtlich deutlich länger bleiben. In der Nacht zum Mittwoch erwartete die Stadt Esslingen rund 200 Asylbewerber, die in den kommenden Wochen in der landeseigenen Sporthalle neben der Hochschule an der Flandernstraße eine vorübergehende Heimat finden werden. Innerhalb weniger Stunden haben die Hilfskräfte – das Deutsche Rote Kreuz, die Malteser, die Esslinger Feuerwehr und die Polizei, koordiniert vom Einsatzstab der Stadtverwaltung – die von Vereinen und Studenten genutzte Sporthalle zur Flüchtlingsunterkunft umgestaltet. Bauen konnten sie dabei auf die Erfahrungen, die die Helfer in der vergangenen Woche gesammelt hatten, als binnen Tagesfrist die Schelztorhalle für rund 300 Flüchtlinge hergerichtet werden musste.

 

Wie kritisch die Situation ist, wissen die Verantwortlichen in der Stadt aber nicht erst seit dem vergangenen Freitag. Jetzt ziehen die Verwaltung und der Gemeinderat gemeinsam die Konsequenzen: Bei einer Pressekonferenz am Dienstag haben der Esslinger Oberbürgermeister Jürgen Zieger und sämtliche Fraktionsvorsitzenden der im Gemeinderat vertretenen Parteien angekündigt, das bisherige dezentrale Konzept zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in der Stadt zu modifizieren – und in den kommenden Wochen und Monaten deutlich weiterreichende Maßnahmen als die bisher geplanten zu verwirklichen.

Noch kein konkreter Standort

So bietet die Stadt dem Landkreis an, ein Gelände für eine Notunterkunft zur Verfügung zu stellen, in der bis zu 300 Asylsuchende aufgenommen werden können. Einen konkreten Standort wollte der Esslinger Oberbürgermeister Jürgen Zieger noch nicht nennen. Denkbar ist aber, dass es sich um ein Areal in einem Industriegebiet handelt. Sehr wahrscheinlich wird dort eine Zeltstadt für die Flüchtlinge geschaffen. Denn der Bau von festen Unterkünften würde zu lange dauern. Und Traglufthallen als Alternative zu den Zeltlösungen sind momentan ausverkauft. Im kommenden Jahr könnte, so Jürgen Zieger, noch ein weiterer Standort in ähnlicher Dimension für eine Notunterkunft dazukommen.

Angesichts der steigenden Zahl von Flüchtlingen nehme Esslingen darüber hinaus weitere Standorte für Flüchtlingsunterkünfte in Augenschein. Dabei wollen die Verwaltung und der Gemeinderat so lange wie möglich am dezentralen Konzept festhalten. Geprüft wird allerdings, ob mehr Flüchtlinge als bisher geplant in den gerade entstehenden oder zu bauenden Unterkünften untergebracht werden können. Zudem sei nicht auszuschließen, dass in einigen Bürgerausschussbezirken auch mehrere Standorte eingerichtet werden.

2000 Asylbewerber bis Ende 2016 erwartet

Die Kurskorrektur ist dringend notwendig. Denn nach dem momentanen Erkenntnisstand muss Esslingen bis zum Jahresende knapp 1000 Asylbewerber und im kommenden Jahr noch einmal die gleiche Zahl an Flüchtlingen aufnehmen. Bliebe es bei den bisherigen Planungen, würden bis Ende des Jahres aber erst 473 Plätze im Stadtgebiet zur Verfügung stehen.

Ein noch größeres Problem wird die Anschlussunterbringung der dann anerkannten Flüchtlinge darstellen. Der Esslinger Sozialbürgermeister Markus Raab berichtete, dass im kommenden Jahr 160 Plätze und 2017 dann sogar bereits 560 Plätze verteilt im Stadtgebiet für diesen Zweck in Esslingen benötigt werden.

Große Solidarität in Esslingen

Die Fraktionschefs der im Esslinger Gemeinderat vertretenen Parteien stellten sich am Dienstag demonstrativ hinter die Stadtverwaltung. ,,Ob vorübergehend oder auf Dauer: die Flüchtlinge, die zu uns kommen, gehören zu Esslingen. Nehmen wir sie in unserer Stadt auf und geben wir ihnen das, was sie andernorts verloren haben: ein Stück Heimat“, erklärte der SPD-Chef Andreas Koch. Bereits in der Vergangenheit habe Esslingen unter ungleich schwereren Bedingungen viel mehr Flüchtlinge aufgenommen, fügte Jörn Lingnau (CDU) hinzu und verwies auf die 45 000 bis 50 000 Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Flucht in Esslingen gelandet sind. Lingnau: „Sie haben hier eine neue Heimat gefunden. So wollen wir auch jetzt offen sein für alle, die ihre Heimat verloren haben und hier neue Wurzeln schlagen wollen.“ Die Integration werde aber nur gelingen, wenn wirklich alle Beteiligten ihren Beitrag dazu leisten.

Das sieht Annette Silberhorn-Hemminger, die Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, ähnlich. Natürlich werde es Probleme geben, da dürfe man nichts beschönigen. Sie fügt aber hinzu: „Wir wollen den Menschen, die zu uns kommen, etwas für uns Selbstverständliches geben: Freiheit und Sicherheit. Daneben braucht es konkrete Hilfe und Unterstützung in nahezu allen Lebensbereichen.“ Carmen Tittel (Grüne) betont: „Es ist unsere humanitäre Pflicht, den vor Krieg und Verfolgung zu uns fliehenden Menschen beizustehen. Wir sehen in Esslingen eine große Hilfsbereitschaft und viel Potenzial in der Bürgerschaft, die Flüchtlinge aufzunehmen und in unsere Stadtgesellschaft zu integrieren. Die neuen Mitbürger können eine Bereicherung für unser kulturelles Leben und eine Chance für unsere Wirtschaft und das Handwerk sein – gerade auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels.“