Eindeutiges Urteil: 74 Prozent der EU-Bürger sind der Meinung, dass die EU zu viel unnötige Bürokratie produziert. Die Behörde des Kommissionspräsidenten Barroso kündigte an, mehrere umstrittene Gesetzesprojekte zu stoppen.

Brüssel - Das Urteil ist eindeutig: 74 Prozent der EU-Bürger sind der Meinung, so das Ergebnis einer Eurobarometer-Umfrage, dass die Europäische Union zu viel unnötige Bürokratie produziert. Immer häufiger hat es zuletzt auch in den Hauptstädten der Mitgliedstaaten geheißen, die Brüsseler Kommission, die das Monopol auf EU-Gesetzesinitiativen hat, solle von dies und jenem die Finger lassen. Diese Botschaft scheint angekommen zu sein. Schon länger versucht die Brüsseler Behörde, bestehende Richtlinien zusammenzufassen oder zu vereinfachen – 660 solcher Initiativen hat es seit 2005 gegeben. Anfang September räumte Kommissionspräsident José Manuel Barroso vor dem Europaparlament dann ein, dass seine Behörde manchmal über das Ziel hinausgeschossen sei. Nun sagte er in Brüssel: „In vielen Bereichen brauchen wir europäische Regulierung. Andere Themen können besser auf nationaler und regionaler Ebene behandelt werden.“ Und: Barrosos Behörde kündigte an, mehrere umstrittene Gesetzesprojekte zu stoppen.

 

Dass die EU-Kommission bereits gemachte Vorschläge zurückzieht, die im Gesetzgebungsprozess auf Eis liegen, weil sich die unterschiedlichen Mitgliedstaaten und das Europaparlament nicht darüber verständigen können, ist nicht unüblich. Seit 2005 ist dies in rund 500 Fällen geschehen. Neu ist, dass dies so systematisch und auf einen Schlag geschieht. Heraus kamen fürs Erste drei bestehende Gesetze, die es gar nicht mehr braucht. Darunter etwa ein Rechtstext, der der Stahlindustrie das Sammeln umfangreicher Datensätze für statistische Zwecke auferlegt.

Für den Umweltschutz gilt: „mehr Engagement, nicht weniger“

Noch mehr Bewegung ist bei den noch nicht verabschiedeten Gesetzen auszumachen, welche die EU-Kommission mit sofortiger Wirkung zurückziehen kann. Das Aus kommt etwa dafür, die Klagerechte von Bürgern und Verbänden in Umweltbelangen auszuweiten, was seit Jahren im Gesetzgebungsprozess feststeckt. Der vielleicht spektakulärste Rückzieher betrifft die umstrittene Bodenschutzrichtlinie, gegen die es seit 2006 im Ministerrat eine Sperrminorität gibt, die bei dem Gesetzestext „Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität“ nicht gewahrt sieht. Dass freilich unter EU-Bürokratie fast jeder etwas anderes versteht, zeigt sich gerade in diesem Fall. Während sich die Europaabgeordneten der CDU über das Aus für die Bodenrichtlinie freuen („Weil Boden nun mal nicht von Berlin nach Brüssel oder umgekehrt wandert, bleibt Bodenschutz nationale oder regionale Aufgabe“), kritisierte der Naturschutzbund Deutschland „Barrosos Streichkonzert“. Dies sei ein äußerst „durchsichtiges Manöver eines gescheiterten Kommissionspräsidenten, der sich um seine Wiederwahl sorgt – und das auf Kosten der Umwelt“. Beim Umweltschutz vertrauten die Bürger der EU und forderten, so Nabu-Präsident Olaf Tschimpke, „mehr Engagement, nicht weniger“.