Der EU-Kommissionschef José Manuel Barroso gibt sich kämpferisch: Er will Eurobonds einführen und die Einstimmigkeit beenden.

Brüssel - Es hat viel auf dem Spiel gestanden für José Manuel Barroso. Am Vorabend seiner Rede zur Lage der Union vor dem Europaparlament hatten selbst Parteifreunde geätzt, sie sei die letzte Chance für den Portugiesen, in der Eurokrise das Heft des Handels in die Hand zu nehmen. Es wäre "der Anfang vom Ende der Kommission Barroso", sagte Werner Langen, der Chef der deutschen Unionsabgeordneten, wenn dieser den Staats- und Regierungschefs nicht klarmache, dass Gemeinschaftslösungen unter Brüsseler Führung das Gebot der Stunde seien. Auch Martin Schulz, der Fraktionschef der Sozialdemokraten, konstatierte einen "Rückfall in eine Hauptstadtdiplomatie, die Europa an den Rand des Zusammenbruchs führt".

 

Im Sinne der Mehrheit des Europaparlaments hat Barroso am Mittwoch nun geliefert. Er stellt klar, dass er die Europäische Kommission als die Wirtschaftsregierung für die EU und die Eurozone sieht und nicht die Gruppe der Staats- und Regierungschefs. Damit begegnet er der Sorge vieler Abgeordneter, dass die existierenden europäischen Institutionen durch neue Gremien an den Rand gedrängt werden: "Wir brauchen ganz sicher keine zusätzlichen Institutionen", ruft Barroso ins Plenum. Die neue Wirtschaftsregierung für die Eurozone solle an die Brüsseler Behörde angedockt werden.

Ungewöhnlich kämpferische Rede

Der Kommissionschef belässt es nicht bei Worten. Konkret hat er einen Gesetzesvorschlag zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer vorgelegt, die Barroso zufolge jährlich 55 Milliarden Euro einbringen könnte, wenn sie denn von Mitgliedstaaten akzeptiert würde. London kündigte jedoch umgehend Widerstand an. "In den letzten drei Jahren haben die Steuerzahler 4,6 Billionen Euro an Bankgarantien und -hilfen zur Verfügung gestellt - es ist Zeit, dass die Finanzmärkte etwas an die Gesellschaft zurückgeben." Barroso kündigt an, dass bis Jahresende alle Gesetzesvorschläge zur Finanzmarktregulierung - darunter die zu Ratingagenturen und zur Abwicklung von Pleitebanken - vorliegen werden.

In seiner ungewöhnlich kämpferischen Rede stellt Barroso schon zu Beginn fest, dass "die EU vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte" stehe. Er sagt aber auch: "Europa hat eine Zukunft, wenn wir das Vertrauen wiederherstellen. Wir können Europa erneuern." Dazu zählt für ihn auch die Bereitschaft, erneut die europäischen Verträge zu ändern. Wenn es dann eine völlig aufeinander abgestimmte Wirtschafts- und Finanzpolitik gebe, könne es auch vergemeinschaftete Schulden geben, die Barroso nicht "Eurobonds", sondern "Stabilitätsbonds" nennt. Konkrete Vorschläge dazu folgen im Oktober. Noch umstrittener dürfte nur sein zweiter Vorschlag sein, nämlich die letzten Bereiche abzuschaffen, in denen in Europa Einstimmigkeit herrschen muss: "Unsere Geschwindigkeit darf nicht mehr vom langsamsten Mitglied bestimmt werden."

Das aber ist Zukunftsmusik - das Augenmerk liegt darauf, den Rettungsschirm in allen 17 Eurostaaten ratifiziert zu bekommen. Die Befürchtungen vieler Bundestagsabgeordneter vor der heutigen Abstimmung, dass der Rettungsfonds über eine Hebelwirkung noch größere Geldsummen bewegen könnte als ohnehin schon, bestätigte Barroso sogar noch. Ob seine Rede im Bundestag genauso wohlwollend aufgenommen wurde wie im EU-Parlament, ist mehr als fraglich.