Die für Dienstag geplante Abstimmung im EU-Parlamant über schärfere Auflagen für die milliardenschwere Branche wird wahrscheinlich verschoben. Kritiker vermuten dahinter den massiven Einfluss von Lobbyisten.

Brüssel - Normalerweise sind Anträge zur Geschäftsordnung Routine. Das ist anders, wenn das Europaparlament am heutigen Montag in Straßburg zusammenkommt. Aufgerufen wird dann das Ansinnen, das Votum über eine schärfere Tabakrichtlinie möge bitte verschoben werden. Das ist brisant, stellt sie doch eines der wichtigsten EU-Gesetzgebungsverfahren dar. Seit der dafür zuständige Kommissar John Dalli vor einem Jahr seinen Stuhl räumen musste, da ihm unlautere Kontakte zur Tabaklobby vorgehalten wurden, wird jede weitere Entwicklung kritisch beäugt – auch wenn ein Gericht in seinem Heimatland Malta das Verfahren gegen Dalli mittlerweile eingestellt hat.

 

Es ist unwahrscheinlich, dass der Gesetzestext auf der Abstimmungsliste für Dienstagmittag bleibt. In der vorbereitenden Runde der Fraktionsvorsitzenden am Donnerstag fand sich bereits eine Mehrheit von Christdemokraten, Liberalen und Rechtskonservativen für eine Vertagung – gegen die Stimmen von Sozialdemokraten, Grünen und Linken. Sicher ist aber nicht, ob diese Mehrheit unter allen 736 Parlamentariern Bestand hat. „In der deutschen Unionsgruppe“, räumt etwa der CDU-Parlamentarier Werner Langen ein, „gibt es unterschiedliche Meinungen.“ Dafür glaubt er, dass sich auch die Sozialdemokraten in der Raucherfrage viel weniger einig seien, als sie vorgäben zu sein.

Die Lobby spielt auf Zeit

Fast schon unabhängig vom Ausgang steht der Vorwurf im Raum, Lobbyisten hätten sich mehr Zeit für eine minutiös geplante Überzeugungskampagne erstritten. Mit der Verschiebung sei die Mitte-rechts-Koalition im Parlament „schamlos den Wünschen der Tabakindustrie gefolgt“, schimpft die grüne Fraktionschefin Rebecca Harms. Nun würden die 160 nur für diesen Zweck vom Philipp-Morris-Konzern eingestellten Mitarbeiter die vier zusätzlichen Wochen nutzen, um die Abgeordneten weiter falsch zu informieren, vermuten sie bei den Sozialdemokraten.

„Es wird auf Zeit gespielt“, sagt die SPD-Abgeordnete Dagmar Roth-Behrendt mit Blick auf die Europawahl im Mai, „damit in dieser Legislaturperiode keine neue Richtlinie zustande kommt.“ Schärfere Gesetze für die Milliardenbranche könnten so auf Jahre hinaus verhindert, zumindest aber verwässert werden. Den schon zu Jahresbeginn vereinbarten Zeitplan zu verzögern, so Harms, sei „der verzweifelte Versuch, die klare Position des federführenden Gesundheitsausschusses zu torpedieren“. Der hatte am 10. Juli den Vorschlag der EU-Kommission angenommen, wonach 75 Prozent von Vorder- und Rückseite einer Kippenschachtel Schockbilder von Raucherlungen oder Krebspatienten zeigen müssen. Bislang sind nur große Warnhinweise Pflicht. Zudem müssten Ärzte Zusatzstoffe auf ihre Unbedenklichkeit testen und würden Aromen wie Menthol oder irreführende „Slim“-Zigaretten verboten.

Geht es ums Verfahren oder um die Industrie?

Das will Herbert Reul, der als Chef der deutschen Unionsabgeordneten mit einer E-Mail an Fraktionschef Joseph Daul hauptsächlich für die Verschiebung verantwortlich zeichnet, nicht: „Ich finde, wir übertreiben da.“ Das heiße aber nicht, dass er der Tabaklobby aufgesessen sei, deren Auftreten er ebenfalls „unerträglich“ findet: „Bei der Vertagung ging es nur um das Verfahren.“ Nach der Sommerpause habe der Gesetzentwurf mit allen Änderungen erst am Freitag vergangener Woche vorgelegen – und nur auf Englisch. Reul hält die Beratungszeit für zu gering, nachdem sich Berichterstatter und Ausschuss ein gutes halbes Jahr Zeit gelassen hätten – um dann die Position des Industrieausschusses zu ignorieren, der wie Reul maximal 50 Prozent der Schachtel für Schockbilder frei halten, generell weniger detaillierte Vorgaben und Menthol weiter erlauben wollte.

Der Ausschussvorsitzende Matthias Groote kontert Reuls Vorwurf mangelnder Gründlichkeit: „Wir haben ausführlich über den Bericht diskutiert, zahlreiche Anhörungen durchgeführt, und es gab ausreichend Zeit, Änderungsanträge zu stellen“, so der SPD-Politiker: „Jetzt muss endlich abgestimmt werden!“ Das dürfte nun erst am 8. Oktober der Fall sein. Und während Reul findet, „die paar Wochen“ machten keinen Unterschied, meinen auch einige in seiner CDU-Gruppe, „jeder Zeitgewinn ist ein Gewinn für die Tabakindustrie“. Schließlich beginnen nach der Parlamentsabstimmung erst die monatelangen Verhandlungen mit den EU-Regierungen.