In sechs Monaten steht die Europawahl an. Die Sorge ist groß, dass radikale Anti-EU- und Anti-Euro-Kräfte triumphieren. Die Nationalisten sind zwar zersplittert, wollen aber bei einem Treffen heute eine Allianz besiegeln.

Brüssel - Die Europapolitiker stellen sich darauf ein, dass es ungemütlich werden könnte. So hat EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy sehr wohl mitbekommen, dass die Europäische Union, für ihn „ein gemeinsames Schutzschild gegen die globalen Marktkräfte“, wie er am Wochenende in einer Berliner Rede sagte, von vielen Europäern „als Bedrohung von außen wahrgenommen wird“.

 

Die Konsequenzen drohen bei der Europawahl. Erste Umfragen deuten auf einen Gesamtstimmanteil der EU-Gegner von etwa 20 Prozent hin. Gar mit bis zu einem Drittel der Sitze im Europaparlament rechnet EU-Kommissar Günther Oettinger für jene, die nichts mit der Gemeinschaft am Hut haben. Die Angst vor einem Aufschwung der Nationalisten ist parteiübergreifend. Bei einer Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung kürzlich in Stuttgart sagte der Grünen-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht, er „rechne mit etwa 200 von 750 Abgeordneten“, was es in der nächsten Legislaturperiode „extrem schwierig macht, anständig Politik zu machen“.

Die Rechtspopulisten suchen vor allem eine Bühne

Die Erfahrung lehrt, dass es kaum einem Repräsentanten des rechtspopulistischen bis rechtsextremen Lagers darum geht, sich politisch einzubringen. Sie suchen, wie das Beispiel Nigel Farage zeigt, vor allem eine Bühne. Und die weiß der Chef der United Kingdom Independence Party (Ukip) durchaus geschickt und eloquent zu nutzen. Er ist nicht bekannt dafür, dass er in den Parlamentsausschüssen um Lösungen ringt. Die Plenardebatten in Straßburg, bei denen politische Prominenz zugegen ist, verpasst er dagegen fast nie. Die Videos, in denen er Ratschef Van Rompuy beleidigt oder die EU generell lächerlich macht, sind kurz darauf Youtube-Renner.

Es gibt in vielen europäischen Staaten Anzeichen dafür, dass mit der radikalen Rechten zu rechnen ist, wenn Ende Mai die erste Europawahl seit Ausbruch der Eurokrise stattfindet. Der britische Premier David Cameron versucht, mit immer EU-kritischerer Rhetorik Farages Ukip das Wasser abzugraben – und könnte wie oft in solchen Fällen erfahren, dass eher Originale als Kopien gewählt werden. Spätestens aber seit eine Umfrage in Frankreich kürzlich dem Front National von Marine Le Pen 24 Prozent der Stimmen und den Status als stärkste Partei voraussagte, ist klar: die Krisenreaktion könnte heftig ausfallen.

Wilders will eine „Allianz von Patrioten“ formen

Das liegt auch daran, dass sich viele Rechtsparteien als sehr anpassungsfähig erwiesen haben. Während etwa die Ukip stets antieuropäisch ausgerichtet war, hat sich die Partei des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders anfangs auf eine vermeintliche Islamisierung fokussiert. „Erst waren Muslime das Feindbild“, so die Amsterdamer Populismusforscherin Erica Meijers, „jetzt geht es gegen die Europäische Union.“ Wilders ist kürzlich quer über den Kontinent gereist, weil er die Europawahl als „einzigartige Gelegenheit“ betrachtet, eine „Allianz von Patrioten“ zu formen. Er traf Heinz-Christian Strache von der Freiheitlichen Partei Österreichs sowie Vertreter des belgischen Vlaams Belang und der italienischen Lega Nord – sowie Marine Le Pen, die am heutigen Mittwoch zum Gegenbesuch in Den Haag erwartet wird, um die Allianz zu besiegeln. Die Gegensätze zwischen Wilders PVV und Le Pens FN sind groß, aber die Kritik an Europa und der Hass auf den Euro ist noch größer.

Interessant sind auch jene Orte, die auf Wilders’ Reiseroute fehlten. Sie zeugen davon, wie disparat das Anti-EU- und Anti-Euro-Spektrum ist. So ist etwa unklar, wo sich die Alternative für Deutschland einreiht. Bei der Bundestagswahl mit 4,7 Prozent knapp gescheitert, hat sie wegen der Dreiprozenthürde bei der Europawahl gute Chancen. Ihr Programm ließe sich als „wirtschaftsnationalistisch“ bezeichnen. Ob die Professoren auch klassische rechtspopulistische Thesen etwa zur Einwanderung übernehmen, ist offen.

Als Knackpunkt gilt die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit

Auch die Ukip-Briten halten sich vom Front National mit seinen antisemitischen Tendenzen und von Islamfeind Wilders fern. Dessen liberale Seite wiederum findet keine Übereinstimmung mit Neofaschisten wie Ungarns Jobbik-Partei oder der „Goldenen Morgenröte“ in Griechenland. Im Epizentrum der Eurokrise, wo die Menschen seither 40 Prozent weniger Geld haben, sitzt die Partei mit den Schlägertrupps bereits im Parlament. Sie hetzt nicht mehr „nur“ auf Migranten und Andersdenkende, sondern hat sich ebenfalls auf die Anti-EU-Linie eingeschossen. Das beschert ihr inzwischen zweistellige Umfragewerte – daran hat selbst der Mord an einem Musiker Mitte September nichts geändert. Die Athener Professorin Vassiliki Georgiadou sagt, die Krise habe „ein Fenster der Gelegenheit für Faschisten geöffnet“.

Auch in Brüssel ist den Verantwortlichen klar, dass das Euro-Krisenmanagement Angriffsfläche bietet. In den oberen Etagen der EU-Kommission heißt es, man müsse „die verbleibenden sechs Monate bis zur Wahl gut nutzen“. Als Knackpunkt gilt, ob man das Versprechen einlösen kann, die sechs Milliarden Euro zur Bekämpfung der Rekordjugendarbeitslosigkeit gleich zu Jahresbeginn in Projekte zu stecken. „Es ist wichtig“, sagt einer aus dem Führungszirkel, „dass die Jungen etwas von dem Geld gesehen haben, wenn im Mai gewählt wird.“