Die EU will den größer werdenden Einfluss Chinas bei wichtigen Normierungen in Europa zurückdrängen. Dafür erarbeitete sie eine Strategie – bei der auch demokratische Werte eine Rolle spielen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Brüssel - Unser Alltag wird bestimmt von Normen. Die Kaffeefilter sind so groß, dass sie in alle Kaffeemaschinen passen. Das neue Smartphone findet den WLAN-Router, weil die Verbindungen genormt sind und die internationalen Vorgaben sorgen dafür, dass Papier ohne Probleme weltweit in jeden Drucker eingelegt werden kann. Normen machen das Leben leichter, gleichzeitig verleihen sie jenem, der die Normen setzt, sehr viel Einfluss und damit Marktmacht.

 

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In Asien wurde diese Tatsache früh erkannt und offensiv vorangetrieben. Vor allem chinesische Firmen wie Huawei bemühen sich gezielt, neue Standards in der Industrie zu setzen und werden dabei massiv vom Staat unterstützt. Dabei geht es allerdings nicht um Schraubengrößen oder Druckerpapier, sondern um Technologien, die das Leben der Menschen rund um den Globus in Zukunft maßgeblich beeinflussen werden. Im Zentrum stehen Entwicklung im Bereich künstliche Intelligenz oder auch Standards im Kampf gegen den Klimawandel, etwa bei der Herstellung von grünem Wasserstoff.

Europa will den Einfluss auch China bremsen

Europa möchte der Konkurrenz aus China und den USA allerdings nicht länger das Feld überlassen. Nun hat die EU-Kommission eine neue Normungsstrategie vorgestellt. Diese ziele unter anderem darauf ab, den Wandel hin zu einer digitalen Wirtschaft zu ermöglichen. Doch der Kommission geht es auch um demokratische Werte, die in den Technologieanwendungen verankert werden sollen. EU-Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager erklärte in Brüssel: „Bemühungen, mit denen sichergestellt wird, dass für die Zwecke der künstlichen Intelligenz verwendete Daten geschützt sind und mobile Geräte nicht gehackt werden können, beruhen auf Normen und müssen mit demokratischen Werten der EU im Einklang stehen.“

Dabei will die Union grundsätzlich neue Wege gehen. Bisher sah die EU das Setzen von Standards vor allem als technisches Problem, das sie den Unternehmen überließ. Das soll sich nun grundlegend ändern. Mit ihrer Normungsinitiative will die Kommission in Zukunft strategisch vorgehen.

Die Staaten sollen mehr Einfluss haben

In der EU werden die Standards in verschiedenen Gremien von Fachleuten aus europäischen und auch nicht-europäischen Firmen festgelegt. Dort ist der Einfluss etwa der asiatischen Unternehmen zuletzt stark gestiegen. Durch die neue Normungsstrategie soll in Zukunft den nationalen Organisationen der EU-Mitgliedsstaaten mehr Entscheidungsgewalt eingeräumt werden. In Deutschland ist das etwa das Deutsche Institut für Normung (DIN).

Die Vertreter der deutschen Industrie äußern sich sehr zufrieden über die Initiative der EU-Kommission. Der Präsident des Digitalverbands Bitkom, Achim Berg, erklärte, Europa habe in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in der internationalen Normung an Boden verloren und speziell in den Bereichen Software und Künstliche Intelligenz (KI) nie richtig Fuß gefasst. Deshalb sei die Strategie höchste Zeit.

Die Industrie reagiert sehr zufrieden

Auch das deutsche Handwerk hofft zu profitieren. Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, erklärt: „Es ist gut, dass die EU dem Thema Normung mehr Gewicht geben will. Europäische Standards machen es unseren Betrieben und Unternehmen leichter, Produkte auf dem EU-Binnenmarkt und weltweit zu verkaufen. Andere Normen könnten sie hingegen dazu zwingen, ihre Produkte aufwendig anzupassen.“

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Auch die deutsche Wirtschaftsstaatssekretärin Franziska Brantner (Grüne) erklärte, während es für die etablierten Industriezweige bewährte Standards gebe, sei bei den Zukunftstechnologien noch viel im Fluss. Andere globale Akteure, Staaten aber auch Unternehmen, stellten sich in der Normung derzeit immer stärker auf. „Die Strategie der EU kommt deshalb zum richtigen Zeitpunkt. Im internationalen Wettbewerb gilt: Wer den Standard hat, hat den Markt,“ unterstreicht die Politikerin.

Bitkom-Präsident Achim Berg warnt allerdings vor einer möglichen Fehlentwicklung. Die Normen selbst dürften nicht den Köpfen von Bürokraten in Brüssel entspringen, sie müssten auch in Zukunft von den Profis in den Unternehmen geschrieben werden.