European Championships München kann immer noch Olympia

  Foto: dpa/Soeren Stache

Das Publikum liebt die Europameisterschaften in neun Sportarten in der bayerischen Hauptstadt. Die Großveranstaltung lässt sich getrost als Fast-Olympia bezeichnen und zeigt: Die 50 Jahre alten Sportstätten sind auch heute noch brauchbar.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Es ist früh am Morgen, aber die vier Männer aus Dannstadt in Rheinland-Pfalz präsentieren sich mit einem sauberen Stechschritt. Entschlossen marschieren sie in den Olympiapark, drei Tage wollen sie in München Leichtathletik erleben, ihre Frauen haben sie zu Hause gelassen. Alle vier befinden sich im Rentenalter, sie haben Zeit und Muße für solch einen Trip. Aber vor allem haben sie Lust darauf, sie sind fast so aufgeregt wie Schulbuben beim Ausflug. „Das wird der Wahnsinn“, sagt Gerd, der Stubenälteste in dem lustigen Zuschauer-Team aus der Pfalz. Und seine Freunde nicken.

 

München ist dieser Tage eine Reise wert, wenn man Sportfan ist und die Ausdauer besitzt, im altehrwürdigen Münchner Olympiastadion stundenlang in der Sonne zu hocken. In München findet eine Multi-Europameisterschaft statt, die Veranstaltung nennt sich European Championships, vor vier Jahren gab es sie bereits in Glasgow.

Nun aber wollten die Münchner ran – sie wollten ihr Jubiläums-Sportfest feiern, weil an selber Stelle vor 50 Jahren die Olympischen Spiele in der bayerischen Landeshauptstadt stattgefunden hatten. Mit Helden wie Mark Spitz, Ulrike Meyfahrt, Heide Rosendahl. Aber auch mit fürchterlichen Bildern von dem Anschlag palästinensischer Terroristen, die elf israelischen Athleten ermordet hatten.

Das Fast-Olympia

München 1972, München 2022 – also erst das richtige Olympia und jetzt das Mini-Olympia. Wobei der Begriff Mini dem aktuellen Event nicht ganz gerecht wird. Vor 50 Jahren waren 7170 Athleten in 21 Sportarten am Start, heute sind es schon sehr beachtliche 4700 in neun EM-Kategorien. Außer der Leichtathletik stehen und standen Beachvolleyball, Kanu-Rennsport, Klettern, Radsport, Rudern, Tischtennis, Triathlon und Turnen auf dem Programm. Wären die vier Männer aus der Pfalz nicht so Leichtathletik-verrückt, sie hätten viel mehr erleben können. Man darf München 2022 statt Mini-Olympia getrost als Fast-Olympia bezeichnen.

Dieses Sportfest ist gelungen und wird es auch bleiben, die Münchner Politiker und zuständigen Sportfunktionäre dürfen sich gegenseitig auf die Schultern klopfen. Im Olympiapark tummeln sich tausende Menschen und erleben ganz wunderbare Sommerferien. Dahoam zu bleiben und nicht zu vereisen, das hat sich in diesem Sommer für die Münchner ausgezahlt. Wo ist es derzeit schöner als im Olympiapark?

Für jeden etwas

Überall sind Buden aufgestellt, überall gibt es Weißwürste mit Brezen und die örtlich angesagten Weißbiermarken. Überall sind Spieloasen für Kinder eingerichtet, und unten am Anlagensee steht eine große Bühne, auf der bekanntere und weniger bekannte Musiker ihr Repertoire abspielen. Die Stimmung bewegt sich zwischen Sport-Euphorie und Volksfest. Als die BMX-Freestyler ihr Können zeigten, saßen mehrere tausend Zuschauer auf den sanften Hügeln des Olympiaparks und genossen den Sport wie auch den Sonnenuntergang – eine bezaubernd-melancholische Stimmung war das. Und als die deutschen Turnerinnen vergangenen Sonntag zwei Goldmedaillen abräumten und den Abschied der Stuttgarterin Kim Bui feierten, war die Halle fast ausverkauft und die Stimmung prächtig. Diese Momente haben Olympia-Niveau.

Seit die Leichtathletik am Anfang der Woche im Olympiastadion rennt und springt und wirft, steigert sich das Interesse noch einmal deutlich und auch der Zulauf an Menschen. Bis in die Abendstunden läuft das volle Programm. Dabei erweist sich das Olympiastadion noch immer als eines der imposantesten der Welt und tritt den Beweis wie alle anderen Sportstätten an, die seit 1972 existieren, dass Olympische Spiele auch das sein können, was sie sich immer krampfhaft auf die Fahne schreiben: nachhaltig.

Kläglich gescheitert

Der Olympiapark, die Sporthallen und das Stadion sind tatsächlich nachhaltig und auch heute noch brauchbar. Das Meisterwerk des Stuttgarter Architekten Günter Behnisch ist zeitlos, weitläufig und noch immer eine Augenweide. Im Olympiapark sehen die Besucher Tag für Tag, was Behnisch da vor mehr als 50 Jahren Großes gelungen ist.

Wenn es mal wieder Olympische Spiele in Deutschland geben sollte, warum nicht in München? Fast alles ist schon da. Die Frage ist, ob es in 50 Jahren solch eine Veranstaltung wie diese auch in Rio oder Tokio geben wird oder könnte.

Von den European Championships erhoffen sich die deutschen Sportfunktionäre und Olympia-Befürworter – nach kläglich gescheiterten Versuchen – eine neue Diskussion um eine Olympiabewerbung Deutschlands. „Das Beispiel München kann auch dazu beitragen, Akzeptanz und Zustimmung für das Thema Olympia in unserem Land zu stärken“, sagt Thomas Weikert, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB). Den Segen von höchster Stelle im Weltsport gibt es für solche Gedankenspiele. Bei der Auftaktveranstaltung zum 50. Jubiläum der Sommerspiele 1972 schaute Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), durch die olympischen Ringe einer Skulptur und sagte: „Ich hoffe, dass wir das auch wieder mal bei uns erleben können.“

Christian Ude ist skeptisch

Ausgerechnet Münchens langjähriger Oberbürgermeister Christian Ude zeigt sich in dieser Frage als kritischer Geist. Olympische Spiele in Deutschland sieht er skeptisch. „Man sollte es sicherlich nicht für den Rest dieses jungen Jahrhunderts ausschließen“, meinte der 74 Jahre alte Ex-OB. „Aber ich bleibe bei meiner Einschätzung, dass viele Entwicklungen im IOC – und da meine ich nicht nur das Pfötchengeben bei Diktatoren und die beklemmende Profitsucht, sondern auch die Knebelverträge gegen Austragungsstädte – es erschwert haben, bei Volks- und Bürgerentscheiden Mehrheiten zu finden“, sagte Ude jüngst gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Alles Zukunftsmusik – in München geht das Sportfest erst einmal bis Sonntag heiter weiter. Die Menschen feiern ihren Sportsommer. Das Unterhaltungsangebot kann sich sehen lassen, da haben sich die Bayern ins Zeug gelegt. Außerhalb des Olympiaparks genießen die Menschen das Treiben auch am Königsplatz. Vor traumhafter Kulisse mit historischen Gebäuden wird dort Beachvolleyball gespielt bis in den späten Abend, in den Match-Pausen feuert das EM-Maskottchen mit einer Spielpistole T-Shirts ins Publikum. Und am Königsplatz sind auch die Kletterer, die eindrucksvolle Wettkämpfe liefern und sich als neue Trendsportart blendend in Szene setzen. An beiden Standorten finden die ganz besonderen Sommerpartys dieser Europameisterschaften statt.

Viel Applaus

Das Münchner Sportpublikum erweist sich dabei als kenntnisreich, euphorisch und fair. Nach Richard Ringers Marathon-Gold stellte die Chef-Bundestrainerin Annett Stein fest, dass die Athleten „von den deutschen Fans getragen werden“. Das galt im Marathon übrigens auch für den Letzten im Feld. Der bekam sogar mehr Applaus als der Sieger – auch von den Jungs aus Dannstadt.

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