Evolutionsbiologe im Interview „Wir sind schuld an der Pandemie“

Welche Pandemien drohen uns nach Corona? Foto: dpa/Marijan Murat

Haben die Menschen die richtigen Lehren aus der Coronapandemie gezogen? Der Hamburger Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht hat da seine Zweifel. Dabei sei mit vertretbarem Aufwand eine bessere Prävention möglich.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Die nächste Pandemie kommt bestimmt – wir wissen nur nicht genau wann, sagt Matthias Glaubrecht vom Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels. Im Interview erklärt er, wie Seuchen die Geschichte der Menschheit mitgeprägt haben.

 

Herr Glaubrecht, Ihr neues Buch heißt „Die Rache des Pangolin“. Wofür rächt sich dieses Schuppentier Ihrer Meinung nach?

Genau genommen geht es mir um die Verteidigung des Pangolin. Schuppentiere sind wegen der Coronapandemie zu Unrecht in Verruf geraten. Man hat in ihnen zwar Viren gefunden, die Sars-CoV2 stark ähneln – und daraus zunächst den Schluss gezogen, dass das Virus von diesen Tieren auf den Menschen übergesprungen sein könnte. Inzwischen gilt es als sehr unwahrscheinlich, dass Pangoline Zwischenwirte für das ursprünglich aus Fledermäusen stammende neue Coronavirus waren.

Sie nennen Corona eine menschengemachte Pandemie.

Corona ist eine Pandemie, die wir selbst durch unsere Lebensweise verursacht haben, wie übrigens auch andere Pandemien in der Geschichte der Menschheit. Tiere müssen immer wieder als Sündenböcke herhalten, wenn eine Seuche ausbricht. Auch Camus machte die Ratten für den Ausbruch der Pest verantwortlich. Wir schieben die Schuld eben gerne auf andere. Um dem etwas entgegenzusetzen, stelle ich den Menschen als Verantwortlichen in den Mittelpunkt.

Woran machen Sie diese Verantwortung fest?

Wir verändern massiv Ökosysteme – etwa indem wir die Lebensräume wilder Tiere zerstören. Dadurch kommen Mensch und Tier enger in Kontakt. So kitzeln wir gewissermaßen die natürlicherweise vorhandenen Erreger hervor und legen den Grundstein für neue Pandemien. Auch wenn das manche vergessen haben: Wir stehen nicht außerhalb der Natur, sondern sind nach wie vor ein Teil davon.

Welche Parallelen gibt es zwischen Corona und früheren Pandemien?

Auch frühere Pandemien hatten entscheidend mit den Lebensverhältnissen von Menschen und Tieren zu tun. So lebte das Pestbakterium zunächst im Darm von Murmeltieren. Als die Mongolen im 13. Jahrhundert mit ihren Pferden nach Westen vordrangen, brachten sie mit Pest infizierte Ratten und Flöhe in ihren Getreidevorräten mit. Ein entscheidender Faktor für die Pestepidemien in Europa war also damals schon die Mobilität von Menschen und ihre Nähe zu Tieren. Und beides haben wir heute in viel größerem Maßstab.

Eine wichtige Rolle spielt aber auch der Verzehr von Fleisch wilder Tiere.

Genau. Auch das Aids-Virus ist vermutlich durch den Verzehr von Affenfleisch auf den Menschen übergesprungen. Gefährlich ist aber auch die Zucht von Nerzen oder Marderhunden wie in China – oder die Haltung von Geflügel und Schweinen in riesigen Ställen, die Brutstätten für neue Erregervarianten sind.

Das Risiko von Pandemien wächst. Die schnelle Impfstoffentwicklung zeigt aber auch, dass wir uns heute besser schützen können.

Wir sollten uns nicht zu sehr auf den medizinischen Fortschritt verlassen. Dort draußen gibt es Krankheitserreger, die weit gefährlicher für uns werden könnten als das vergleichsweise milde Coronavirus. Zudem ist die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen teuer. Hinzu kommen Langzeitfolgen wie Long Covid und hohe wirtschaftliche Schäden durch die Schutzmaßnahmen. Eine wirksamere Prävention ist in jedem Fall billiger.

Die Bevölkerung wächst weiter. Wie lassen sich da Kontakte zwischen Menschen und Wildtieren begrenzen?

Wir können diese Kontakte nicht komplett unterbinden. Aber wir können den Verzehr von Wildfleisch begrenzen, indem wir gegen Wildtierhandel und Wildtiermärkte vorgehen. Zudem brauchen wir ein besseres Monitoring der Viruspopulationen von Tieren und Menschen. In großen Teilen Afrikas gibt es zum Beispiel gar nicht die Kapazitäten für flächendeckende Tests. Deshalb sollte sich die Überwachung vor allem auf die Leute konzentrieren, die häufig mit Wildtieren, aber auch mit Nutztieren in Kontakt kommen.

Woher könnten künftige Erreger kommen?

Derzeit gibt es bei Wildvögeln und Nutzgeflügel eine Influenzawelle. Diese Vogelgrippeviren könnten mutieren und auf Menschen überspringen. Die Spanische Grippe hat gezeigt, dass Influenzaviren gefährlicher sein können als zum Beispiel Coronaviren. Auch bei hämorrhagischen Fiebererkrankungen wie Ebola sind die Sterberaten deutlich höher. Wir müssen davon ausgehen, dass es weitere Pandemien geben wird, allerdings lässt sich nicht sagen wann und wodurch. Da geht es den Virologen ähnlich wie den Geologen. Die wissen zwar, dass es an einer bestimmten Stelle ein Erdbeben geben wird, können aber den genauen Zeitpunkt nicht nennen.

Der Mensch ist ja auch ein perfekter Wirt für Krankheitserreger.

Auf jeden Fall. Ein Virus oder ein Bakterium sucht sich den Wirt, in dem sie die besten Vermehrungschancen haben. Die Zahl der Menschen auf der Erde ist zeitweise ebenso exponentiell gewachsen wie die Zahl der Infizierten in einer Pandemie. So eine große Wirtspopulation erleichtert die Entstehung neuer, möglicherweise gefährlicherer Mutanten. Pandemien haben die Geschichte der Menschheit daher entscheidend mitgeprägt. Daraus sollten wir lernen.

Wissenschaftler und Autor

Position
Matthias Glaubrecht (Jahrgang 1962) ist seit Juni 2021 Wissenschaftlicher Projektleiter am Evolutioneum des Leibnitz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels in Hamburg. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist der massive Artenschwund durch die menschliche Zivilisation.

Buch
Glaubrecht ist Autor mehrere populärwissenschaftlicher Bücher. Sein neuestes Buch „Die Rache des Pangolin“ beschäftigt sich mit alten und neuen Pandemien. Es ist soeben bei Ullstein erschienen, hat 640 Seiten und kostet 29,99 Euro.

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