Ex-Bahn-Chef Heinz Dürr tot Der geborene Optimist
Chef des Familienunternehmens, Arbeitgeberfunktionär, AEG- und Bahnchef: der vielseitige Stuttgarter Unternehmer Heinz Dürr ist im Alter von 90 Jahren verstorben.
Chef des Familienunternehmens, Arbeitgeberfunktionär, AEG- und Bahnchef: der vielseitige Stuttgarter Unternehmer Heinz Dürr ist im Alter von 90 Jahren verstorben.
Als Arbeitgeberpräsident hat er einst Tarifauseinandersetzungen ausgetragen. Er war Chef des maroden Elektronikkonzerns AEG, er war Mitglied des Daimler-Vorstands, er war Bahn-Chef, er war Stiftungskommissar beim Optikkonzern Zeiss und natürlich war er auch einmal Chef und anschließend viele Jahre lang Aufsichtsratsvorsitzender des Lackieranlagenbauers Dürr. Jetzt ist Heinz Dürr, einer der reichsten Männer Deutschlands, im Alter von 90 Jahren gestorben. Anlässlich seines runden Geburtstages im Juli sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion über seine unternehmerische Maxime: „Ein Unternehmen ist eine gesellschaftliche Veranstaltung.“
Der gebürtige Stuttgarter Dürr hat klein angefangen. Der Wahl-Berliner wurde in einen Familienbetrieb hineingeboren, der vom „Königlichen Hofflaschnermeister Paul Dürr“ im Jahre 1895 in Bad Cannstatt gegründet wurde, der Großvater von Heinz Dürr. Unter der Führung seines Vaters Otto wurde daraus ein Maschinenbauer mit Schwerpunkt Oberflächenbehandlung. Heinz Dürr, der zunächst eine Stahlbauschlosserlehre absolvierte, das folgende Maschinenbaustudium dann abbrach, war 34 Jahre alt, als er den Vorsitz der Geschäftsführung übernahm. Damals setzte das Unternehmen 50 Millionen Euro um; im Jahr 2018 erwirtschafteten mehr als 16 300 Mitarbeiter einen Umsatz von 3,9 Milliarden Euro. Dürr war er es, der nicht nur Technologien, sondern auch die Internationalisierung vorangetrieben hat. Heute ist das Unternehmen, das sich zu rund 29 Prozent im Besitz der Familie befindet, weltweiter Marktführer für Lackieranlagen. Rund 84 Prozent des Umsatzes erzielt das Unternehmen mit Sitz in Bietigheim-Bissingen im Ausland.
„Können ist nichts ohne Gelegenheiten, hat Napoleon mal gesagt“ – Heinz Dürr, der Vielleser, zitierte gerne. „Ich hatte Gelegenheiten“, fügte er hinzu. Seine erste große Chance, die ihn einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte, kam 1975. Damals wurde er Vorsitzender des Verbands der Metallindustrie von Baden-Württemberg – und damit Nachfolger von Hanns-Martin Schleyer, der zwei Jahre später von der RAF entführt und ermordet wurde. Er handelte mit dem damaligen IG Metall-Chef Franz Steinkühler einen Kompromiss in der heftig umstrittenen Frage der „Absicherung gegen Abgruppierung“ aus. Dürr hatte den Ruf als knallharter Verhandler. Aber er konnte auch salopp und hemdsärmelig auftreten. „HD“, wie er konzernintern genannt wurde, betonte stets die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Gemeinsam mit seiner Ehefrau hatte er 1999 die Heide und Heinz Dürr Stiftung ins Leben gerufen, die sich um Themen wie Humangenetik, Energieeffizienz, aber auch um frühkindliche Bildung oder die Förderung von Theaterautoren kümmerte.
1980 dann die nächste Gelegenheit. Der frühere Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs hob Dürr, der in Schwaben und in Berlin gut vernetzt war, auf den Chefposten des angeschlagenen Elektronikkonzerns AEG. Eingefädelt wurde der Deal von Hans Merkle, damals Alleinherrscher bei Bosch. Trotz aller Sanierungsversuche musste AEG 1982 bei Gericht den Antrag auf ein Vergleichsverfahren stellen. Daimler unter Führung von Edzard Reuter übernahm Teile des Elektronikherstellers – und Dürr zog in den Daimler-Vorstand ein. In den folgenden Jahren wurde AEG dann zerschlagen.
Den Umtriebigen, der in seiner wenigen Freizeit Golf und Billard spielte und Skilanglauf machte, hielt es aber nicht allzu lange bei Daimler. 1990 kam die nächste Herausforderung in Person des damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl – und Dürr wurde Chef der Bahn. Seine Aufgabe: die Bundesbahn im Westen und die Deutsche Reichsbahn im Osten Deutschlands zu einem Konzern zu verschmelzen. Mit seinem unbeirrbaren Optimismus und Enthusiasmus machte sich Dürr, Geburtshelfer für das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21, an die Arbeit, um aus dem „staatlichen Regiebetrieb“ ein nach „betriebswirtschaftlichen Rentabilitätsgesichtspunkten“ geführtes Unternehmen zu formen. Knapp sieben Jahre stand er an der Spitze der Bahn; dann übernahm er für knapp zwei Jahre den Vorsitz des Aufsichtsrats. Überraschend schmiss der Wahl-Berliner Dürr hin, nicht zuletzt weil er mit seinem Nachfolger auf dem Bahn-Chefsessel, Johannes Ludewig, nicht harmonierte. Zuvor hatte er die Ernennung des früheren Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium ausdrücklich nicht begrüßt.
Dürr, der „sehr sparsam erzogen“ wurde und bis zuletzt beim Einkauf die Preise verglich (Dürr über Dürr), hat stets weit von sich gewiesen, sein Familienunternehmen im Stich gelassen zu haben. Ein Gespräch mit dem Vorstandschef am Sonntagabend habe gereicht, um zu wissen, was abläuft, sagte er einmal im Interview. Er war von sich überzeugt. „Das Problem ist, dass es schwer sein wird, mich voll zu ersetzen“, sagte er einmal. „Ich war immer mit der Firma verbunden und weiß über das Unternehmen und seine Geschichte mehr als jeder andere“. Diese Geschichte war durchaus wechselvoll. Das Unternehmen Dürr, das 1990 an die Börse ging, hat schwierige Zeiten hinter sich. Beispiel: Vor Jahren haben Hedgefonds Dürr-Kredite von den Banken erworben, um so Einfluss auf das Unternehmen zu bekommen. Ihr Ziel war die Zerschlagung. Der Versuch ist gescheitert.
Dürr war von 1990 bis 2013 der Vorsitzende des Dürr-Kontrollrates; danach war er Ehrenvorsitzender. Für die Familie sitzt seit 2006 Alexandra Dürr im Aufsichtsrat. Sie ist Fachärztin für Neurologie und Professorin für medizinische Genetik an der Sorbonne sowie dem Uniklinikum in Paris. Ihre beiden Schwestern – die eine ist Journalistin in New York, die andere ist im Entertainmentgeschäft in Las Vegas – haben keine Funktion im Unternehmen.
Auch wenn Dürr zuletzt nicht mehr im Unternehmen aktiv war, untätig war er nicht. Zuletzt lag sein Augenmerk auf Jungunternehmen rund um die Elektromobilität. So hat die Heinz Dürr Invest GmbH sich 2018 mit fünf Prozent an der Emmy Sharing beteiligt, einem Startup, das Elektro-Roller zur Kurzzeitmiete anbietet. 2017 stieg Dürr mit 13 Prozent bei Plug-Surfing ein, einem Unternehmen, das eine kostenlose Lade- und Zahlungs-App entwickelt hat. Damit können E-Autofahrer an etlichen Ladestationen in Europa Strom tanken.