Nach seinem Ausscheiden widerstand Münchens Ex-OB Ude allen Verlockungen, sich als Ratgeber der Politik in den Vordergrund zu spielen. Stattdessen packt er an – in Istanbul, bei seinen türkischen Freunden.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München/Istanbul – „Altern als Problem für Künstler“ heißt ein berühmter Aufsatz von Gottfried Benn aus dem Jahr 1954, in dem er seinesgleichen als Arzt, der er auch war, unter anderem attestierte, es nähmen bei den betagten Künstlern nun mal die Schrulligkeiten zu, selbst wenn etwas gleichermaßen Weltbewegendes und Rätselhaftes wie „Faust II“ entstehe.

 

Vergleichbare Untersuchungen über Schwierigkeiten von Politikern in höheren Semestern fehlen. Politiker bleiben entweder Politiker - und äußern sich aus der Talkshowpolstergarnitur mehr oder minder genauso wie früher. Andere Möglichkeit: Sie wechseln – vor oder nach dem Ruhestand - die Seiten. Eher dreist springend (wie Ronald Pofalla und Dirk, „der fliegende Teppich“, Niebel), oder betont wolfslächelnd wie Gerhard Schröder, gewissermaßen mit der „Morgenzigarre“ im Mund, wie der Altkanzler gerne sagt. Seine Morgenzigarre kostet im Übrigen drei Stunden Mindestlohn.

So gesehen ist es zwar wiederum symptomatisch, aber auch erfreulich, wie jetzt der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude seine prinzipielle Pensionistenfreizeit nicht nutzt. „Sitze im Flieger nach Istanbul“, ruft Ude fröhlich via Facebook aus. Was macht er da? Ein ganz normales Tourismusprogramm, könnte man meinen. Zitat: „Wochenendvergnügen mit dem Schiff: Ausflug zu den Inseln, die Maltepe vorgelagert sind. Herrlicher Blick auf das Marmara-Meer ringsum.“ Doch der Zweck des Aufenthalts ist ein anderer: Ude berät einen alten Freund, Ali Kilic, den er vor Jahrzehnten als Journalist in der Türkei kennengelernt hatte. Später zog Kilic nach Deutschland, veranstaltete die türkisch-deutsche Kulturwoche in München, trat in die SPD ein und wurde Vater von drei Kindern in einer offenen Familie: zwei Sprachen, zwei Kulturen, zwei Religionen. Seit März ist Kilic Bezirksbürgermeister in Maltepe, einem Stadtteil von Istanbul mit 500 000 Einwohnern. Christian Ude baut für Kilic und Maltepe in den nächsten Jahren dort eine Messegesellschaft auf, worauf er sich, wie man aus München weiß, durchaus versteht. Vergütet werden Minimalspesen, sonst nichts. Es gibt also ein Leben jenseits von Gazprom & Co. Man muss es halt führen wollen.