Timo Hildebrand spricht über sein nun offizielles Karriereende. Dabei blickt der bald 37-jährige Ex-Torhüter selbstkritisch zurück – und schaut auch optimistisch nach vorne.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart – Das war’s mit dem Profifußball. In wenigen Tagen, am 5. April, wird Timo Hildebrand 37 Jahre alt und eine Rückkehr auf die Bundesligabühne wird es nicht geben. Doch untätig wird der frühere Nationaltorwart nicht sein.

 

Auch von seinen vielen Fans in Stuttgart will sich Hildebrand noch gebührend verabschieden, wie er im Interview berichtet.

 
Herr Hildebrand, Ihr früherer Mannschaftskollege Raúl hat im vergangenen November seine Karriere mit dem Satz beendet: „Ich bin glücklich.“ Sind Sie auch glücklich?
Das kann man für mich absolut so stehen lassen. Denn ich hatte das Glück, in meiner Karriere trotz einiger Tiefpunkte auch viele Höhepunkte zu erleben. Letztendlich habe ich in diesen 17 Profijahren viel gelernt – und das steht für mich über allem.
Was lässt Sie so zufrieden zurückblicken?
Sportlich, dass ich solche Momente genießen durfte, wie den Titelgewinn 2007 mit dem VfB, den wir hier auf dem Stuttgarter Schlossplatz gefeiert haben. Solche Momente sind nicht jedem Sportler vergönnt.
Inwieweit hat Ihre neue familiäre Situation als Papa Einfluss auf diese Entscheidung genommen?
Die Geburt meines Sohnes empfinde ich als riesigen Glücksfaktor. Aber ursprünglich wollte ich meine Karriere in den USA beenden. Diese Lebenserfahrung wollte ich mit meiner Familie noch gerne machen. Ich hatte mich auch schon in Seattle umgesehen. Allerdings hat das mit dem Wechsel nicht geklappt. Dennoch kann ich sagen, dass ich mit mir im Reinen bin.
Obwohl der Körper in den letzten aktiven Monaten nicht mehr mitgemacht hat?
Trotz allem ja. Ich musste mich im vergangenen April an der Hüfte operieren lassen. Auch, weil ich ansonsten in der Zukunft massive gesundheitliche Probleme bekommen hätte. Meinen Vertrag in Frankfurt hatte ich aber bewusst kurzfristig angelegt, weil ich, wie gesagt, nach Amerika wollte.
Das war der Plan – und wie sah dann die Wirklichkeit aus?
Der Genesungsprozess hat länger gedauert als die angepeilten drei, vier Monate. In dieser Zeit ist mir dann klar geworden, dass mein Körper zwar wieder alltagstauglich ist, aber die Belastungen im Profisport doch etwas ganz anderes sind.
Kopf und Herz haben bei Ihrer Entscheidung schließlich nachgezogen?
Das ging zusammen. Ich hatte ja seit meiner Vertragsauflösung in Frankfurt im Januar 2015 genug Zeit, um mich mit der Situation auseinanderzusetzen. Da habe ich erkannt, dass es keinen Sinn hat, mich noch einmal zurück zu kämpfen.
Und dann haben Sie das Kapitel Profifußball zugeschlagen?
Ich habe vor allem ein neues Kapitel begonnen. Ich habe mich ja bewusst für Stuttgart entschieden. Hier fühle ich mich wohl, hier ist mein Lebensmittelpunkt.
 
Zwölf Jahre lang hat Timo Hildebrand für den VfB gespielt. Dabei war er als Frontfigur der jungen Wilden lange das Gesicht der Mannschaft. Als Einziger dieser Generation an Eigengewächsen (mit Hinkel, Kuranyi, Hleb) stemmte Hildebrand als VfB-Profi die Meisterschale in die Höhe. Doch 2007, nach dem Titelgewinn, folgte ein Bruch. Der Torhüter ging zum FC Valencia – und es blieb für viele Fans ein fader Nachgeschmack. Heute ist der 36-Jährige wieder sehr populär.
Wenn Stuttgart zu Ihrer Heimat geworden ist, ist dann der VfB Ihr Heimatverein?
Ja, auch wenn ich einige Jahre weg war und ich mir anfangs nie hätte vorstellen können, dass so viele Vereine auf meiner Autogrammkarte stehen. Aber ich wollte auch immer wieder etwas Neues kennenlernen – wie damals, als ich mich entschieden habe, nach Valencia zu gehen. Trotz aller Stationen ist der VfB aber immer etwas Besonderes, stets in meinem Herzen geblieben.
Wie nahe ist Ihnen der VfB?
Der VfB ist mein Verein. Ich gehe regelmäßig ins Stadion, und in der Zeit, als ich nicht in Stuttgart war, habe ich immer mit dem Verein mitgefiebert. Jetzt habe ich zum Beispiel Kontakt zu Cacau oder Daniel Ginczek, da wir uns regelmäßig in der Reha-Welt begegnen. Insgesamt nehmen die Berührungspunkte im Umfeld wieder zu – und sie sind sehr herzlich.
Dabei war Ihr Abschied sehr emotional und wurde von vielen Menschen um den VfB herum nicht verstanden. Der Wechsel nach Spanien gilt als Knacks in Ihrer Karriere.
Das stimmt schon, aber ich weiß gar nicht, ob man das alles immer beurteilen muss. Jeder einzelne hat doch Träume, die er verwirklichen will und auch einen Charakter, mit dem er seine Ziele verfolgt. Ich fand es durchaus mutig von mir, so einen Schritt in eine fremde Liga zu gehen. Sicher wäre es einfacher gewesen, beim VfB den Vertrag zu verlängern und in Stuttgart zur Legende zu werden – aber ich wollte eben zu einem Topteam im Ausland. Alles andere hätte mich wohl unglücklich gemacht.
Würden Sie es wieder so machen?
Ja, denn vor meiner Valencia-Erfahrung wollte ich unbedingt etwas Neues erleben. In solchen Situationen lernt man am meisten über sich selbst. Nach Valencia war das anders. Grundsätzlich wäre ich gerne länger dort geblieben, weil ich ein bodenständiger Typ bin. Das Gleiche gilt für meine Zeit bei der TSG Hoffenheim.
War die Zeit in Valencia die schwierigste in Ihrer Karriere?
Nein, es war dort zwar nicht einfach im Zweikampf mit der Torwartikone Santiago Cañizares und der Unruhe im Club, aber ich habe dort Menschen kennen gelernt, die ich über den Fußball hinaus sehr schätze. Was mir sportlich gesehen brutal an die Nieren gegangen ist, war die Ausbootung vor der EM 2008. Das kam völlig aus dem Nichts.
Hoffenheim sollte dann 2009 ein Neuanfang sein.
Ja, es war ein Zurückkommen – örtlich zwischen meinen Heimatstädten nahe Worms und Stuttgart, sportlich und emotional war ich wieder bei meinem alten Trainer Ralf Rangnick. Zudem fand ich das Projekt spannend. Hoffenheim stand auf Platz eins.
Kann man im Rückblick sagen, dass damals eine gereiftere Persönlichkeit Timo Hildebrand zurückgekehrt ist, aber auch ein gereifterer Torwart?
Das geht zu weit. Was ich aber aus meiner Torwartsicht sagen kann, ist, dass ich ohne den Torwarttrainer Eberhard Trautner beim VfB nie so weit gekommen wäre. Er hat mich, wenn man so will, als Torwart geschaffen. Am liebsten hätte ich ihn immer eingepackt und mitgenommen.
Sie waren auch noch bei Sporting Lissabon, Schalke 04 und Eintracht Frankfurt. Wie sind diese Stationen einzuordnen?
Schalke war noch mal ein Glücksfall für mich. Da konnte ich sogar wieder Champions League spielen. Das hätte ich kurz zuvor, als ich auf irgendwelchen Dorfplätzen nahe Pforzheim individuell trainieren musste, nicht mehr für möglich gehalten.
Sie waren zuvor vereinslos. Wie geht man damit um?
Das war für mich die schlimmste Phase in meiner Karriere. Man trainiert völlig ins Blaue hinein. Ich habe mein Pensum mit Kai Rabe absolviert, der jetzt beim Karlsruher SC als Torwarttrainer arbeitet und den ich während meiner Zeit als Gast bei den Stuttgarter Kickers kennengelernt habe.
Gab es denn keine andere Optionen?
Doch. Das hat die Sache ja auch so unbefriedigend gemacht. Ich habe damals mit einigen Clubs gesprochen, hatte aber stets das Gefühl, dass es nicht passt. Das ist schon hart: sich gegen einen neuen Arbeitgeber zu entscheiden und zu wissen, am übernächsten Tag wieder allein auf einem Dorfplatz trainieren zu müssen.
Auf Schalke ging es anschließend für Sie aber auch ständig rauf und runter.
Ja, ich musste mich über die Regionalliga nach oben kämpfen und auch einige Verletzungen überstehen. Dennoch war ich froh – unabhängig davon, ob ich gerade Stammkeeper war oder Ersatzmann.
Passt das zu Ihrem Ehrgeiz?
Sie dürfen das nicht mit Gleichgültigkeit verwechseln. Nach meinen Erfahrungen, ohne einen Verein dazustehen, hatte ich gelernt, den Fußball intensiver wahrzunehmen und wertzuschätzen.
 
Der Blick zurück ist Timo Hildebrand wichtig. Dabei sieht er sich auch selbstkritisch und weiß, dass ihm auch das Image des Motzki angeheftet wurde. Doch Nörgeln sei nie sein Ansatz gewesen. Der Anspruch war, ein Spieler zu sein, der auch unbequeme Wahrheiten ausspricht und so die Mannschaft voranbringt. Sich persönlich weiter zu entwickeln und Neuem zu öffnen, ist auch heute noch der Anspruch, wenn es darum geht, die Zukunft beruflich zu gestalten.
Viele frühere Bundesligatorhüter sind anschließend Torwarttrainer geworden. Ist das auch eine Berufsperspektive für Sie?
Wenn ich irgendwann wieder schmerzfrei schießen kann, dann vielleicht. Im Moment gibt es beruflich aber mehrere Bewegungsfelder, die ich mir offen lasse.
Die Trainerausbildung gehört dazu?
Ja, ich habe mich für einen Trainerlehrgang angemeldet. Mein Hauptaugenmerk liegt im Moment aber auf der Zusammenarbeit mit Tailormade. Das ist eine Agentur für Live-Kommunikation, die unter anderem die Mercedes-Benz-Bank als Hauptsponsor des VfB betreut. Wir werden gemeinsam verschiedene Projekte starten, die sich im Bereich Marketing und Sponsoring abspielen.
Das ist auch eine Seite des Fußballgeschäfts, die mit Organisation, Struktur und Strategien zu tun hat. Könnte es sein, dass Sie im Bereich des Managements wieder in einem Club auftauchen?
Durchaus. Die Managerschiene ist etwas, das zu mir passen könnte. Weil ich ja Dinge vorantreiben will. So habe ich mich auch immer als Spieler verstanden. Als jemand, der nicht nur Mitläufer sein will, sondern als jemand, der etwas bewegen will.