Explosion der Emotionen Deshalb ist der Fußball am Ende unschlagbar
Nach Meinung unseres Autors Jochen Klingovsky zeigen die geballten Gefühle am letzten Spieltag, wie wertvoll dieser Sport sein kann – allem Kommerz zum Trotz.
Nach Meinung unseres Autors Jochen Klingovsky zeigen die geballten Gefühle am letzten Spieltag, wie wertvoll dieser Sport sein kann – allem Kommerz zum Trotz.
Es soll ja Menschen geben, die nichts damit anfangen können, wenn 22 Männer in kurzen Hosen einem Ball hinterherjagen. Die beim Anblick von zwei kickenden Profiteams vor allem an käufliche Funktionäre, dubiose Investoren, Turniere in autokratischen Staaten, Nettogehälter im zweistelligen Millionenbereich und TV-Gelder in Milliardenhöhe denken – also an Kommerz und Korruption, Konzerne und Kapital. Alles nachvollziehbar? Absolut! Und doch gibt es, wie so oft im Sport, auch die andere Seite der Medaille – die glänzende, die wertvolle, die schöne. Zu der ein letzter Spieltag gehört, nach dem es nur eine Botschaft geben kann: Fußball ist doch geil! Zumindest auf dem Rasen.
Keine andere Sportart bewegt die Massen derart, nirgendwo wird mehr gejubelt, geweint, gefeiert, gelitten. Fußball garantiert, wenn sich am Ende alles zuspitzt, eine Explosion der Emotionen. Dann schießt sich der FC Bayern in der 89. Minute doch noch zur elften Meisterschaft in Serie. Dann wird der heulende Dortmunder Trainer Edin Terzic von 25 000 Fans auf der Südtribüne gefeiert, obwohl sein Team gerade den Titel verspielt hat. Dann muss der FC Schalke zurück in die Zweitklassigkeit. Dann sichert sich der furiose 1. FC Heidenheim („Wir labern nicht, wir machen“) durch zwei Tore in der dritten und neunten Minute der Nachspielzeit den erstmaligen Sprung in die Bundesliga, woraufhin auf der Ostalb eine Kleinstadt kopfsteht. Dann feiert der HSV die Rückkehr ins Oberhaus, weil das Handynetz in Sandhausen zusammengebrochen ist und der Stadionsprecher dummerweise zum Aufstieg gratuliert hat, um letztlich doch in die Relegation gegen den VfB Stuttgart zu müssen. Und dann schießt sich der VfL Osnabrück durch zwei späte Tore (90.+4 und 90.+6) zurück in die zweite Liga. Was für eine geballte Ladung an Gefühlen!
Allerdings wäre der Fußball nicht der Fußball, ließe er sich auf Emotionen reduzieren. Denn natürlich bleibt er ein knallhartes Geschäft. Auch dafür lieferte dieser denkwürdige letzte Spieltag den besten Beweis.
Noch während die Profis des FC Bayern in Köln die Meisterschaft bejubelten, die sie diesmal nicht ihrer eigenen Stärke, sondern der Schwäche der Konkurrenz zu verdanken hatten, liefen erste Meldungen, der Club habe sein Führungsduo Oliver Kahn (Vorstandschef) und Hasan Salihamidzic (Sportvorstand) rausgeworfen. Inhaltlich ist das nach einer Saison voller Fehler inklusive der Trennung von Trainer Julian Nagelsmann, die damit begründet wurde, alle Titel seien in Gefahr, um danach in der Champions League sowie im Pokal zu scheitern und die Schale beinahe herzuschenken, sicherlich nachvollziehbar. Die Art und Weise aber hätte empathieloser nicht sein können. Klar bewies Kahn einst im Tor ein besseres Händchen als nun im Umgang mit seinen Mitarbeitern, und natürlich war der Kader von Salihamidzic bei Weitem nicht so clever zusammengestellt, wie er selbst es verkauft hat, dennoch hätten die beiden Ex-Profis einen würdigeren Abschied verdient gehabt.
Viele Fans des FC Bayern haben sich über die peinliche Posse geärgert, zugleich zeigten die Bayern-Bosse, dass sie selbst im Moment der Meisterschaft (auch wenn sie mit dieser nicht mehr gerechnet hatten) alles dem Ziel unterordnen, künftig noch erfolgreicher zu sein. Ein umso wichtigeres Signal wäre es für die Bundesliga gewesen, wenn es endlich mal wieder einem Verein gelungen wäre, die Unzulänglichkeiten der Bayern zu nutzen. Schließlich sollte niemand davon ausgehen, dass der Rekordmeister nächste Saison noch einmal so viele Schwächen zeigt. Denn dafür ist in München viel zu viel Kapital im Spiel, und in der Regel zählt Geld im Fußball mehr als das Gefühl. Die Emotionen sind nur manchmal unschlagbar.