Die Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt EZB-Chef Mario Draghi trotz verbaler Distanz gewähren, da sie ihn braucht. Gleichwohl macht sie keinen Hehl daraus, dass sie die ultralockere Geldpolitik mit großer Skepsis sieht.

Frankfurt - Die Rollenverteilung in der deutschen Politik steht längst fest. Seit Jahren kämpft Bundesbankchef Jens Weidmann erfolglos dagegen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) mit dem Kauf von Staatsanleihen die Wirtschaft der Eurozone wieder flott zu machen versucht. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble haben sich aus dem Streit der Notenbanker bisher stets herausgehalten. Weidmanns Kalkül, die Regierung werde seine Position unterstützen, ging nicht auf. Und das wird auch dieses Mal nicht anders sein.

 

Merkel und Schäuble haben keinerlei Interesse daran, die Zentralbank durch Querschüsse der Politik zu schwächen. Schließlich müssen sie anerkennen, dass EZB-Chef Mario Draghi viel dafür getan hat, dass sich die Eurokrise nicht weiter zuspitzte. „Ohne Draghis Maßnahmen gäbe es die Eurozone nicht mehr“, sagt Matthias Kullas vom Centrum für europäische Politik (CEP) gerade heraus.

Spitzenpolitiker wollen nicht zu viel Kritik an Draghi üben

Merkel und Schäuble üben deshalb den Spagat. Die Regierung achte die Unabhängigkeit der EZB, heißt das Mantra in Berlin. Die Kanzlerin, der Wirtschaftsminister und der Finanzminister sind darauf bedacht, nicht offen Kritik an Draghis Entscheidungen zu üben. Gleichwohl machen vor allem Merkel und Schäuble kein Hehl daraus, dass sie die ultralockere Geldpolitik mit großer Skepsis sehen.

Diese Botschaften setzen sie indirekt und in verklausulierter Form. Der Finanzminister gibt immer wieder zu Protokoll, dass er in Europa keine Deflationsgefahren sieht. Dabei begründet Draghi das Milliarden-Programm mit der Sorge vor einer Abwärtsspirale aus fallenden Preisen und sinkenden Investitionen. Wie auch am Donnerstag beim Weltwirtschaftsforum in Davos (siehe Artikel unten), lässt Merkel immer wieder anklingen, dass sie noch ein anderes Risiko sieht: Solange die EZB die Märkte mit Geld flute, gebe es für die Krisenländer kaum Anreize, ihre Haushalte zu sanieren und Reformen in Angriff zu nehmen. Schließlich können alle Eurostaaten außer Griechenland zu Minizinsen neue Schulden aufnehmen. Das Kanzleramt sah die Politik des billigen Geldes von Anfang an nur als Mittel, um Zeit zu kaufen. Entscheidend sind aus Berliner Sicht aber Reformen, die auf sich warten lassen.

Draghi kennt die Vorbehalte der Kanzlerin genau. In der vergangenen Woche reiste er eigens nach Berlin, um im Kanzleramt seine Pläne darzulegen. Auch mit Wolfgang Schäuble stimmt er sich eng ab. Draghi unternimmt viel, um Berlin einzubinden.

Die laxe Geldpolitik könnte die AfD beflügeln

Doch die Bundesregierung hält auch aus innenpolitischen Gründen Distanz. Merkel muss befürchten, dass die laxe Geldpolitik der Alternative für Deutschland (AfD) Auftrieb geben könnte, deren Europaabgeordnete Beatrix von Storch Draghis Politik am Donnerstag als „asozial und illegal“ bezeichnete. Die CDU-Chefin weiß allerdings auch, dass in der Unionsfraktion die Ablehnung gegen Draghis Politik zunimmt.

Selbst mit der nur indirekt vorgetragenen Kritik steht die Bundesregierung fast alleine in Europa. Frankreichs Staatschef Francois Hollande und Italiens Premier Matteo Renzi etwa feierten schon vor Draghis Ankündigung das nun 1,2 Billionen Euro schwere Aufkaufprogramm für Staatsanleihen. Krisenländer kommt es politisch gelegen, weil ein Teil ihrer Schulden europäisch wird – Eurobonds à la Draghi. Eher geht er ihnen nicht weit genug, weil nur 20 Prozent vergemeinschaftet werden, wie etwa die sozialistische Europaabgeordnete Maria João Rodrigues aus Portugal oder ihre französische Parteifreundin Pervenche Berès bemängeln.

Die Niederlande und Belgien unterstützen Berlins Position

Öffentliche Unterstützung bekommen die Kritiker aus Deutschland kaum. So stimmte das niederländische Parlament am Mittwochabend für eine Resolution, in der die Geldflut aus Frankfurt kritisiert wurde. Belgiens konservativer Finanzminister Johan Van Overtveldt bezeichnete in einem Interview am Donnerstag die Niedrigzinspolitik als „schleichenden Anschlag auf die Sparvermögen“. Im Brüsseler Rat der EU-Regierungen wird auch davon ausgegangen, dass Draghis Programm „nicht ganz spurlos in Finnland bleiben wird“, wie ein EU-Diplomat sagte.

Formal richtet der politische Widerstand nichts aus, die Zentralbank ist – zu allererst auf deutschen Wunsch hin – unabhängig. „Es ist das deutsche Mantra schlechthin“, sagt ein Regierungsvertreter Belgiens, „dann sollte man es in Berlin auch akzeptieren, wenn die EZB eine Entscheidung trifft, die einem nicht gefällt.“ Zugleich berichtet er, dass es im Vorfeld Druck von Italiens Premier Renzi wie von Kanzlerin Merkel auf Draghi gegeben habe, der sich am Ende trotz einiger Zugeständnisse an die deutsche Position für die italienische entschieden habe. Daher steht – zumindest beim Blick auf einige in Deutschland erschienene Meinungsbeiträge – die Frage im Raum, ob Merkel die Kontrolle über den Kurs in der Eurorettungspolitik verliert.

Beobachter zweifeln nicht an Merkels Macht

„Sie ist weiter unangefochten die Nummer eins“, attestiert ihr die Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, Rebecca Harms. Schon Draghis erstes Anleihekaufversprechen, das im Spätsommer 2012 die Eurokrise spürbar deeskalierte, „hat bisher nur funktioniert, weil es von Merkel toleriert worden ist“. Auch der Freiburger CEP-Experte Kullas hält „Merkel nicht für geschwächt“. Sie könne Draghi jederzeit die Unterstützung entziehen – auch wenn dies der Notenbank massiv schaden würde.

Das ist nach Einschätzung von Brüsseler Beobachtern nicht der einzige Grund, warum sie Draghi gewähren lässt. Es ist zugleich die Erkenntnis, dass die politischen Reformen, die zur dauerhaften Stabilisierung der Währungsunion notwendig wären, in der augenblicklichen Wirtschafts- und Stimmungslage nur extrem schwer zu bekommen sind. „Draghi muss den Ausputzer für die tatenlosen Euroländer spielen“, kritisiert der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold, „die Regierungen in den Euroländern machen ihre Arbeit nicht.“

Draghi befürchtet einen Zerfall der Eurozone

Tatsächlich hat es Ende Oktober beim bisher letzten Treffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone einen eindringlichen Appell Draghis gegeben. „Wenn wir so weitermachen wie bisher“, sagte der EZB-Chef einem Teilnehmer zufolge in der Runde, „wird der Laden auseinanderbrechen.“ Ein Zerfall sei nur mit „geteilter Souveränität“, also mit Schritten hin zu einer politischen Union aufzuhalten. Die Begeisterung war nicht groß, wie Diplomaten hinterher berichteten. Vereinbart wurde auf Draghis Wunsch hin lediglich, dass bei einem Eurozonen-Sondergipfel Mitte Februar grundsätzlich über die Zukunft der Währungsunion gesprochen wird.

„Alle sind sich einig, dass wir eine bessere wirtschaftspolitische Koordinierung brauchen“, heißt es im Umfeld von EU-Ratschef Donald Tusk, „wenn es dann aber darum geht, dass Brüssel Arbeitsmarktreformen in Frankreich oder Deutschland durchsetzen können muss, werden die Debatten schnell sehr, sehr grundsätzlich.“ Da scheint es für Merkel einfacher, zu in Deutschland sehr unpopulären Maßnahmen nur das Allernötigste zu sagen – und ihre Parteisoldaten austeilen zu lassen. „Die EZB ist mit ihrer Geldpolitik weitgehend am Ende“, tönt der CDU-Europaabgeordnete Werner Langen: „Der Einstieg in die Schuldenfinanzierung überschreitet die Grenze der „No-bail-out“ Klausel.“