Fachkräfte aus dem Ausland Fachkräfte verzweifelt gesucht – zügig und rund um den Erdball

Die drei Kolumbianer Juan Tabares Castano, Miguel Angel Cortes und Kevin Almeida Diaz (von links) hoffen auf eine Zukunft mit ihrer Familie in Deutschland. Foto: Matthias Schiermeyer

Von Kolumbien über Marokko, Namibia und Vietnam bis Indien: Regierung, Kammern, Innungen, Verbände und zahlreiche Firmen machen sich in aller Welt auf Werbetour für offene Stellen in Baden-Württemberg. Es mangelt noch an Koordination und einheitlichen Strategien.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Teams am Bau sind meist von Menschen aus Osteuropa dominiert. Weil der Zufluss von dort nicht mehr ausreicht, müssen die deutschen Unternehmen rund um den Erdball auf Suche gehen, um ihre Lücken zu füllen – auch in Kolumbien, wo das Wohnungsunternehmen Vonovia 38 Elektroniker rekrutiert hat, wovon 13 schon im bundesweiten Einsatz sind. Drei von 25, die noch im Anerkennungsverfahren stecken, sanieren in diesen Tagen eine Wohnung in Bad Cannstatt.

 

Juan Tabares Castano, Miguel Angel Cortes und Kevin Almeida Diaz, 27 bis 29 Jahre alt, sind seit November in Deutschland. Grundlage ist eine Kooperationsvereinbarung von Bundesagentur für Arbeit (BA) und kolumbianischer Arbeitsverwaltung. Bereits im Vorfeld haben sie einen neunmonatigen Deutschkurs in Bogotá absolviert, sodass sie sich nun mit ihrem Bauleiter Jens Gackenheimer verständigen können. Eine gute Ausbildung, sagt ein Vonovia-Sprecher, hätten sie in Kolumbien ohnehin erhalten – da gebe es fachlich keine großen Unterschiede. Wobei sie in der Wohnung noch nicht direkt am Strom arbeiten dürfen, bevor sie Mitte des Jahres ihren Gesellenbrief in der Hand halten – so sind die Regeln für die „Elektrohelfer“.

Einwanderungsgesetz löst zähe Verfahren nicht auf

Die ganze Welt als ein Arbeitsmarkt: Sukzessive erleichtert die Politik die Anwerbung aus Drittstaaten, aktuell mit der zweiten Stufe des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. So können die Menschen schon hier arbeiten, wenn sie mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Herkunftsland anerkannten staatlichen Berufs- oder Uniabschluss haben.

„Für die Unternehmen werden durch den teilweisen Wegfall der Anerkennungsverfahren weitere Türen geöffnet“, lobt Susanne Herre, Hauptgeschäftsführerin der IHK Region Stuttgart. „Der Durchgang bleibt mühsam.“ Bei den unzähligen Voraussetzungen „blicken Betriebe und Behörden kaum noch durch“. Laut einer aktuellen Umfrage von BWIHK sind die komplizierten, zähen Verfahren für Arbeitgeber der größte Stolperstein, um Fachkräfte aus dem Nicht-EU-Ausland einzustellen. Herre dringt auf leichter umsetzbare Regelungen.

Eine Rangliste, aus welchen Ländern die Fachkräfte nach Baden-Württemberg kommen, gibt es nicht. Das Wirtschaftsministerium begründet den Mangel mit statistischen Hürden. Klar ist: Aktuell liegt ein starker Fokus des Landes auf Indien und dort auf Maharashtra. Florian Stegmann, Chef der Staatskanzlei, hat erst vorige Woche eine zweite Delegationsreise in den indischen Bundesstaat angeführt. Maharashtra hat 114 Millionen Einwohner und eine schnell wachsende Mittelschicht. Dort hat Stegmann mit Bildungsminister Deepak Kesarkar eine Absichtserklärung zur Fachkräfteausbildung und -mobilität unterzeichnet sowie im Kooperationsbüro in Pune einen „Service Desk“ als „One-Stop-Shop“ für Unternehmen aus Baden-Württemberg eröffnet.

Peter Friedrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Region Stuttgart, hat Mitte 2023 eine Partnerschaft mit der Kammer im Kosovo geschlossen. „Wir werden auch in Richtung Indien schauen, dass wir weitere vom Handwerk organisierte Zugänge ermöglichen“, sagt er. „Dies ist ein wichtiger Beitrag, um die Fachkräfteversorgung der Zukunft zu gewährleisten.“

Handwerk BW hat nun einen Koordinator

Projekten im Ausland gibt es zuhauf. Immerhin hat Handwerk BW nun einen Koordinator: Florian Zarnetta will die Akteure in Kammern, Verbänden und Kreishandwerkerschaften vernetzen. Derzeit macht er noch eine Bestandsaufnahme. „Noch erhalten wir immer weiter neue Meldungen“, sagt eine Sprecherin. Seit 2022 kämen Auszubildende über Projekte der Handwerksorganisationen in den Südwesten; Ausgangspunkt war das Indien-Projekt der Kammer Freiburg und der Metzger-Innung. Mittlerweile engagieren sich Kammern auch in Namibia, Südafrika und Ruanda.

„Zum Ende dieses Jahres werden mehr als 200 Menschen über solche Projekte eine Ausbildung oder Tätigkeit in Baden-Württemberg aufgenommen haben“, sagt die Sprecherin von Handwerk BW. Hinzu kommen Menschen, die über separate Initiativen angeworben werden – wie der Stuttgarter Bäcker, der Azubis aus Marokko zu sich holt, oder der Bauunternehmer aus Ravensburg, der schon viele Auszubildende aus Vietnam eingestellt und vermittelt hat. Die meisten Projekte beziehen sich auf einzelne Gewerke oder Berufsgruppen.

Von einem Flickenteppich an Aktivitäten kann auch die IHK Region Stuttgart berichten. Viele Firmen bekommen Bewerbungen aus dem Ausland auf ausgeschriebene Stellen oder pflegen direkte Kontakte. Andere arbeiten mit Vermittlern und Agenturen zusammen. Daher wünscht sich die IHK eine vom Land oder Bund eingerichtete Plattform, auf der sich die Dienstleister eintragen können. Derzeit berät die IHK vor allem über Fachkräfte aus der Türkei, Indien, China und vom Westbalkan, aber auch aus Georgien, Afrika oder Lateinamerika.

Ziel ist eine Zukunft in Deutschland

Die drei Kolumbianer von Vonovia genießen die Vorzüge des deutschen Arbeitslebens, freie Wochenenden etwa. Gemeinsam teilen sie sich eine Wohnung in Ostfildern. Der Arbeitslohn ist höher als daheim, wie hoch genau, verrät Vonovia nicht. Ohnehin spüren die drei die erhöhten Lebenshaltungskosten hierzulande und versorgen auch ihre Familien mit dem Geld. Das schmälert das Einkommen. Ihre Heimat vermissen sie jeden Tag, doch wollen sie Frauen und Töchter nachholen. „Für die Zukunft können wir hier etwas erreichen und ein neues Leben beginnen“, sagen sie. Das gehört dazu: Von den Chancen, der Sicherheit und Ordnung hierzulande sollen vor allem ihre Kinder später profitieren.

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