Das Geschäft mit Fair-Trade-Produkten boomt, längst gibt es sie auch bei Discountern wie Aldi und Lidl. Die kleinen Weltläden profitieren von der gestiegenen Nachfrage nicht. Warum?

Region: Verena Mayer (ena)

An der Wand hinter der Kasse ticken bunte Uhren aus Kolumbien. Im Regal liegen Ketten und Ringe aus Ghana, im Schaufenster hängen Batiktaschen aus Malawi. Mittendrin steht Ursel Sieber, 66 Jahre, kurze graue Haare, rote Jacke. Der Vormittag in der Rottenburger Stadtlanggasse 49 lief passabel. Exakt 133,43 Euro sind in der Kasse, als der Weltladen um halb eins schließt. Das entspricht einem Umsatz von rund 40 Euro pro Stunde und ist damit gerade genug, um Ursel Sieber bei Laune zu halten. Wenn in einer Schicht unter der Woche nicht mindestens hundert Euro eingenommen werden, kann die Vorsitzende des Weltladen-Vereins nicht zufrieden sein.

 

Ursel Sieber weiß, dass ihr Laden mehr einnehmen könnte. Viel mehr. Denn der faire Handel boomt. Im Jahr 2011 haben die Deutschen für faire Produkte 477 Millionen Euro ausgegeben, das sind 80 Prozent mehr als 2008. Doch die Weltläden spüren von der steigenden Nachfrage nichts, ihre Umsätze haben sich seit 2008 unterm Strich nicht verändert. Im Rottenburger Weltladen sind die Einnahmen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres sogar gesunken. Neulich ist auch noch ein großer Kunde abgesprungen, der für fast 1000 Euro im Jahr fairen Kaffee gekauft hatte. Er kauft jetzt im Supermarkt. „Das schmerzt uns schon“, sagt Ursel Sieber, deren Ziel es eigentlich ist, Weltläden überflüssig zu machen.

Die Pioniere müssen sich neu erfinden

Wenn es überall fair gehandelte Waren gibt, sind die Nischengeschäfte der Dritte-Welt-Aktivisten nicht mehr nötig. Soweit die Theorie. Inzwischen gibt es zwar fast überall faire Produkte – doch überflüssig haben die neuen Geschäfte die alten nicht gemacht. Mehr Vertriebswege bedeuten nicht unbedingt mehr Qualität. Und so müssen die Wegbereiter des fairen Handels weiter für eine bessere Welt kämpfen. Und sich dabei neu erfinden.

Olivenpesto aus Chile, Kichererbsen aus dem Libanon, Currypaste aus Indien, Öl aus Palästina. Auf den Holzbrettern türmen sich bunt etikettierte Gläser mit buntem Inhalt. Die meisten Kunden in der Stadtlanggasse kaufen Lebensmittel. Am besten gehen Tee, Kaffee, Schokolade und Bananen. Die Chips und Überraschungseier kommen auch gut an. Als Ursel Sieber und ihre Mitstreiter vor 35 Jahren mit ihrer Überzeugungsarbeit begannen, gab es Kerzen aus Soweto, Jutetaschen aus Bangladesch und Kaffee aus Nicaragua, den man kaum trinken konnte. Heute hat der Weltladen gut 20 wohlschmeckende Kaffeesorten im Angebot. „Das ist eine tolle Entwicklung“, sagt Ursel Sieber. Von den meisten Verpackungen lacht ein Bauer, der erklärt, warum die Packung teurer ist als Ware aus konventionellem Handel: fair ist teurer, weil fair gerechter ist. Die Kleinbauern erhalten einen Preis, der über dem des Weltmarkts liegt, außerdem langfristige Verträge und auf Wunsch eine Vorfinanzierung. Mit einem höheren und verlässlichen Einkommen sollen die Produzenten der Abhängigkeit von Großgrundbesitzern entkommen – und der Armut.

Konkurrenz im Supermarkt

Die Rottenburger Vereinsmitglieder erklären den Zusammenhang zwischen globalem Denken und lokalen Handeln auch in Schulen oder beteiligen sich am Sommerferienprogramm der Stadt. Dann dürfen die Kinder unter anderem ein Schokoladenfondue zubereiten und dabei lernen, dass nicht alle ihre Altersgenossen in die Schule gehen können, weil sie beispielsweise auf einer Kakaoplantage schuften müssen. „Wenn die anderen den fairen Handel so ernst nähmen wie wir, dann wären wir gerne überflüssig“, sagt Ursel Sieber. Die anderen, das sind die Supermärkte und vor allem die Discounter.

Seit sechs Jahren schmückt das Fairtrade-Logo, das bekannteste unter den fairen Siegeln, auch Produkte von Einzelhandelsketten, deren Mitarbeiter selbst nicht immer fair behandelt werden. Zwischen 2006 und 2011 haben sich die Umsätze des Fairkaufs insgesamt etwa verdreifacht. Die Rechnung von Transfair ist somit aufgegangen.

Ein neues Siegel für den Massenmarkt

Der Verein hat sich vor 20 Jahren gegründet, um das Nischendasein jener Produkte zu beenden, die bis dahin fast nur in Weltläden erhältlich waren. Mit der Einführung des Fairtrade-Siegels hatten auch Supermärkte die Möglichkeit Kaffee, Tee, Zucker oder Schokolade von Kleinbauern aus der Dritten Welt in ihr Sortiment aufzunehmen. Schließlich haben die Discounter den boomenden Markt für sich entdeckt und sich 2006 mit Transfair zusammengetan. Es wäre eine verpasste Chance, diesen Vertriebsweg prinzipiell auszuschließen, argumentierte der Kölner Verein gegenüber geschockten Pionieren wie den Rottenburger Welthändlern. „Die großen Handelsketten polieren damit ihr Image auf“, sagt Ursel Sieber. Einen Konzern, der wie ihr Weltladen auch Bildungsarbeit betreibt, kenne sie nicht.

Zwischen riesigen Regalen in einer unscheinbaren Halle in einem Ravensburger Gewerbegebiet steht in Jeans und blauem Hemd Thomas Hoyer. Über ihm stapeln sich Kisten mit Mangosirup und Kokosmilch, Reis und Couscous. In Rollwagen am Tor warten Boxen voller Gewürze und Fruchtgummis, Hängematten und Schals auf den Paketdienst – hauptsächlich Bestellungen von Weltläden. Thomas Hoyer ist der Vorstand der Genossenschaft dwp, dem größten Importeur von fairen Produkten in Baden-Württemberg. 1700 Artikel hat dwp im Sortiment. Keiner davon besitzt ein Siegel. „Das haben wir nicht nötig“, sagt Thomas Hoyer, der die dwp-Produzenten persönlich kennt. Er und seine 42 Mitarbeiter wissen von regelmäßigen Besuchen, wie auf den Feldern und in den Betrieben in Asien, Afrika und Lateinamerika gearbeitet wird.

Fair ist nicht gleich fair

Mit Kritik am Fairtrade-Siegel tut sich Hoyer dennoch schwer. Er will die Verbraucher nicht verunsichern. Der 44-Jährige ist ja froh, dass immer mehr Menschen bewusster einkaufen. Andererseits sieht er in der rasanten Absatzentwicklung eine Gefahr: Wenn immer größere Mengen von immer mehr Produkten nachgefragt werden, steigt der Druck auf die Produzenten. „Am Ende würden dann jene am meisten profitieren, die schnell große Mengen liefern können“, sagt Hoyer. Das wären Plantagenbesitzer – und nicht die Kleinbauern, für die der faire Handel eigentlich erfunden wurde.

Bemerkenswerterweise war es die Steigerung des Absatzes, die Transfair im vergangenen Jahr bewog, die Standards für das Siegel zu senken. So kann es sein, dass ein konventionell produzierter Joghurt mit ein paar fairen Schokostreuseln das begehrte Siegel tragen darf. Damit könnten mehr Produzenten am System teilhaben, argumentierten die Kölner, deren Verein sich über die Lizenzgebühren finanziert. Die Gepa, größte faire Importeurfirma Europas mit Sitz in Wuppertal, hat das Fairtrade-Siegel wegen der laxen Kriterien inzwischen weitgehend von ihren Produkten verbannt.

Ausbeutung für einen guten Zweck

Ein junger Mann mit Strohhut betritt den Weltladen in Rottenburg und greift zu Kaffee und getrockneten Bananen, hundertprozentig fair. Rund 50 Ehrenamtliche teilen sich die Schichten in dem Geschäft am Rande der Innenstadt. Nur Silvia Weissinger bekommt Geld, 400 Euro. Dafür muss die Geschäftsführerin den gesamten Betrieb am Laufen halten. Silvia Weissinger weiß, dass es paradox ist, sich quasi selbst auszubeuten, um andere vor der Ausbeutung zu bewahren. Sie würde den Weltladen gerne professioneller betreiben. In einem neuen Geschäft mitten in der Stadt mit durchgehenden Öffnungszeiten, großen Schaufenstern und Platz für schöne Vitrinen. Doch dafür bräuchte es mindestens zwei hauptamtliche Mitarbeiter. Und dafür wiederum müsste sich der Umsatz im Laden mindestens verdoppeln, schätzt Silvia Weissinger.

In Ravensburg hat Ende Mai der größte Weltladen Deutschlands eröffnet. In bester Lage, mit lichtdurchfluteten Räumen und einer Ausstattung, die es mit einer Boutique aufnehmen kann. Auf 165 Quadratmetern gibt es außer Lebensmitteln und Kunsthandwerk nun auch Platz für elegante Gewänder und moderne Taschen aus Moskitonetzen. Sogar Gummistiefel und Wärmflaschen stehen in den Regalen. Aus fairem Kautschuk. Betrieben wird das Geschäft von der dwp. Die Genossenschaft hat knapp unter 100 000 Euro in ihren neuen Weltladen investiert. „Wir wollen das Wachstum nicht nur den anderen überlassen“, sagt Thomas Hoyer.

In den ersten Monaten seit der Eröffnung hat sich der Umsatz verdoppelt.