Ein 60-Jähriger hatte sich vor rund 15 Jahren mehrmals an dem Mädchen vergangen, nachdem er es vom Kindergarten abgeholt hatte. Nun sprach das Landgericht ein Urteil.

Rems-Murr: Phillip Weingand (wei)

Auch nach langer Zeit kann ein Sexualtäter noch von seiner Vergangenheit eingeholt werden. Diese Erfahrung musste ein 60-Jähriger aus dem Rems-Murr-Kreis machen, der am Dienstag vom Landgericht Stuttgart wegen des sexuellen Missbrauchs seiner eigenen Tochter verurteilt worden ist. Schon beim Auftakt des Verfahrens hatte der Mechaniker gestanden, sich an seiner Tochter, die damals im Kindergartenalter war, vergangen zu haben.

 

Die junge Frau ist heute rund 20  Jahre alt. Der Verdacht auf einen Missbrauch hatte sich ergeben, nachdem Mitgliedern einer Freikirche aufgefallen war, dass der Mann auf auffällige Weise die Nähe zu Kindern suchte. Sie schalteten deswegen die Polizei ein. Diese begann mit Ermittlungen, die eines Tages auch die Familie des Mannes mit einbezogen – und die Tochter offenbarte daraufhin, vor Jahren von ihrem Vater missbraucht worden zu sein. Hinweise darauf, dass der Mann auch anderen Kindern etwas angetan haben könnte, ergaben sich laut Informationen unserer Zeitung nicht.

Ankläger und Verteidiger schließen einen Vergleich

Die Staatsanwaltschaft war beim Auftakt des Prozesses ursprünglich davon ausgegangen, dass es zwischen den Jahren 2005 und 2009 insgesamt fünfmal zum Missbrauch kam, nachdem der Vater das Kind vom Kindergarten abgeholt hatte. Dann soll er sie zu Hause zum vorgeblichen Mittagsschlaf auf das Bett gelegt und sich selbst ausgezogen haben. Auch das Mädchen musste seine Kleidung ablegen. Der Vater soll dann laut Anklageschrift mit seinen Fingern „beischlafähnliche Handlungen“ ausgeführt haben. Als das Mädchen über Schmerzen klagte, soll er ihr erklärt haben, „die Maus muss da hinein“, und sie sei noch nicht fertig.

Die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger des Mannes gingen allerdings einen Deal ein: Gegen ein Geständnis wurde die Anklage in dreien der Fälle fallengelassen. Der Angeklagte ließ seinen Rechtsanwalt vorlesen, er räume die Vorwürfe in den ersten beiden Fällen „umfassend ein“. Worte des Bedauerns oder einen Entschuldigungsversuch umfasste zumindest das Geständnis nicht.

Immerhin ersparte es aber der Tochter eine belastende Aussage vor Gericht – und auch, dass ihre Schilderungen von einer Gutachterin auf Glaubwürdigkeit überprüft wurden. Zudem verpflichtete sich der Vater, ein Schmerzensgeld von 15 000 Euro an seine Tochter zu bezahlen – das Geld soll in monatlichen Raten zu jeweils 200 Euro ausbezahlt werden.

Schlussendlich wurde der Mann von der 2. Großen Strafkammer nun wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Der 60-Jährige muss zudem die die Kosten des Verfahrens sowie für die Auslagen seiner Tochter aufkommen.

In Deutschland wurden im Jahr 2020 rund 14 500 Fälle sexuellen Missbrauchs angezeigt. Die Dunkelziffer ist allerdings deutlich höher. Bei vielen Betroffenen sind nach dem Missbrauch das Schamgefühl, die Angst vor Konsequenzen oder die Furcht, auf Unglauben zu stoßen, sehr stark. Die Täter sind nur relativ selten Fremde: Meist kennen Betroffene ihre Peiniger, oft handelt es sich um Bekannte der Eltern oder gar um Familienmitglieder. Auch Vereine, Schulen, Kitas oder das Internet können Tatorte sein.