Alle Darsteller tragen Masken und sagen kein Wort: Seit 1996 steht Familie Flöz für ein komödiantisches Figurentheater der poetischen Art. Nun gehen die Berliner im Theaterhaus mit der Liederoper „Himmelerde“ neue Wege.

Stuttgart - Tief geschürft hat „Familie Flöz“ schon immer. In Stücken über Sein und Schein („Teatro Delusio“), über erste und letzte Schritte („Infinita“), über männliche Hybris („Garage d’Or“) oder über Himmel schreiende Ungerechtigkeit („Haydi“) – stets setzte sich die internationale Maskentheatergruppe mit existenziellen Themen des Menschseins auseinander. „Himmelerde“ heißt ihr jüngstes Werk, eine gemeinsame Produktion der Staatsoper Unter den Linden, Familie Flöz und Musicbanda Franui in Koproduktion mit dem Theaterhaus Stuttgart und den Ludwigsburger Schlossfestspielen.

 

Und wieder einmal sind es „vom Tanzboden bis zum Friedhof nur ein paar Schritte und umgekehrt“, wie Michael Vogel (57) während eines Treffens in einem Berliner Café den Inhalt der Inszenierung umfasst. Zeitung lesend, wirkt der künstlerische Leiter von Familie Flöz auf den ersten Blick wie ein Tourist. Doch nicht nur hier, im Kiez nahe am Volkspark Friedrichshain, wo er lebt und seine Kinder in die Kita gingen, strahlt der gebürtige Oberfranke eine beeindruckende Ruhe aus. Bei Proben oder hinter den Kulissen, wo immer Michael Vogel anzutreffen ist, wirkt er freundlich und gesammelt.

Hommage ans Ruhrgebiet

1996 gründete er – damals Absolvent der Folkwang-Hochschule in Essen – mit dem Schauspieler und Maskenbauer Hajo Schüler ein Maskentheater. Anders als beim Figurentheater werden keine Puppen oder Objekte bewegt; Schauspieler tragen Masken, die durch die Faszination des Moments wirken, lassen die Sprache als Kommunikationsmittel aus und setzen stattdessen ihre Körperkunst ein. „Familie Flöz kommt Über Tage“ hieß die erste Produktion.

Die Hommage an die Bergbau- und Arbeiterkultur des Ruhrgebietes wurde in der stillgelegten Zeche Hannover in Bochum gespielt und war ein Riesenerfolg. „Flöz“ bezeichnet eine Erdschicht, in der wertvolle Rohstoffe eingelagert sind. „Der Name blieb an uns hängen“, sagt Michael Vogel. Das Zusammenspiel von Visuellem, Geräuschen und Musik, die nahezu unerklärbare Magie der Masken ist das Erfolgsmodell von Familie Flöz. Die Truppe wurde zu Festivals nach China, Norwegen, nach Macao, Frankreich und Südamerika eingeladen, ihre Produktionen mit dem Monica-Bleibtreu-Preis, dem Grand Prix de la Jury in Angers, mit dem Publikumspreis Euro-scene Leipzig und vielen weiteren Preisen ausgezeichnet.

Jedes Stück ein kollektiver Prozess

Alle zwei Jahre gelangt ein neues Stück zur Aufführungsreife – inklusive der Beschaffung von Fördergeldern. „Aus dem Hauptstadtkulturfond wurden wir erstmals in diesem Jahr gefördert, Anträge gestellt hatten wir schon früher“, sagt Michael Vogel. Üb er Umwege hätten sie erfahren, warum sie in all den Jahren nicht bedacht worden seien. „Die sind so erfolgreich, die brauchen kein Geld“, hätte es bei den Antragstellern geheißen. Michael Vogel lächelt und sagt: „Wir waren auch stolz darauf, dass wir uns immer irgendwie finanziert haben.“

Das leidige Geldbeschaffen, Aufführungen rund um den Globus – ist dieses Leben nicht wahnsinnig Kräfte zehrend, auch wenn vor Jahren ein Manager eingestellt worden ist? Worin liegt der Charme der Freiberuflichkeit? „Du kommst an viele Orte dieser Welt, arbeitest da und brauchst keinen Urlaub zu machen“, sagt Vogel.

Sie seien alle Künstler und Produzenten in einem, sagt er, sie erarbeiteten jedes Stück in einem kollektiven Prozess, das sei logistische Höchstleistung, bedeute aber auch freies Entscheiden. Gemeinsam entschieden worden sei auch, 2013 in einem teilsanierten Gebäude in Berlin-Weißensee das „Studio Flöz“ Werkstatt- und Probenräumen zu beziehen. „Zu Beginn hatten wir einen Traum, den umzusetzen, bedeutete mindestens zehn Jahre Selbstausbeutung“, erinnert Michael Vogel an die Anfangsjahre. Inzwischen gebe es auch „Nachahmer“, die „uns auch mal was wegnehmen“.

Verstärkt durch Tänzer und Sänger

Doch auch Familie Flöz hat sich verjüngt und vermehrt – mit jeweils drei oder vier Maskenspielern können die Inszenierungen zeitgleich an drei Orten gespielt werden. Nun also kommt „Himmelerde“ - uraufgeführt an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin – ins Stuttgarter Theaterhaus. Mit dem Maskenmusiktheater geht Familie Flöz neue Wege. Außer der Musicbanda Franui, die ihren osttiroler Alpensound über Werke von Schubert, Mahler oder Bartók pinselt, sind zwei Sänger dabei, die Sopranistin Maria Bengtsson und der Bariton Holger Falk. Auch die Präsenz des australischen Tänzers Paul White hilft dabei, eine Szenerie im Sinne der Romantik zu beschwören. Ganz im Sinne Joseph von Eichendorffs geht es um einen Sehnsuchtsort: „Wir sehnen uns nach Hause. Und wissen nicht, wohin?“