„Jede Reparatur ist anders“, sagt Christian Streifeneder. Er steht in seiner Werkstatt, vor ihm ein Glasflügelflugzeug 304 Baujahr 1981, dahinter eine Glasflügel-Standard-Libelle von 1970. Es sind zwei von insgesamt 1400 Glasflügelflugzeugen, die von Eugen Hänle und seiner Frau Ursula gebaut wurden. Die beiden Gründer des Unternehmens Glasflügel Segelflugzeugbau Schlattstall sind längst verstorben, doch die bis zu 60 Jahre alten Maschinen mit faserverstärkten Kunststoffen sind heute noch weltweit in Betrieb.
Segelflugzeugbauer aus Leidenschaft
Möglich macht es die Firma Glasfaser-Flugzeug-Service, droben auf der Alb in Grabenstetten. Sie ist weltweit die einzige, die Ersatzteile für die Flugzeuge herstellt. „Bis zu 12 000 Betriebsstunden darf ein Glasflügelflugzeug haben“, erklärt Geschäftsführer Streifeneder. Jährlich sei eine Prüfung ähnlich wie der Tüv beim Auto vorgeschrieben, ab 3000 Betriebsstunden eine große Kontrolle. Doch es gäbe Maschinen, die seien 50 Jahre alt und hätten nur 800 Flugstunden, erklärt der passionierte Flieger. Seit 2000 führt er die von seinem Vater Hansjörg und seiner Mutter Barbara Streifeneder 1982 gegründete Firma. Hansjörg Streifeneder, ehemals Mitarbeiter bei Hänle, der 1975 bei einem Flugzeugunfall umkam, sei es ein Herzenswunsch gewesen, die Arbeit von Hänle zu bewahren. Der heute 80-Jährige hat 1981 den Falcon gebaut. Es wurde ein richtungsweisendes Segelflugzeug der Standard-Klasse.
Sein Sohn Christian Streifeneder widmet sich mit seinen acht Mitarbeitenden nicht nur dem Erhalt der Glasflügelflugzeuge. Sie warten und reparieren auch Segelflugzeuge und Motorsegler anderer Hersteller in Kunststoff-, Holz- oder Gemischtbauweise und liefern alle nötigen Ersatzteile. Außerdem produzieren sie Turbulatoren und Abdeckbänder, um die Aerodynamik von Leitwerk und Flügel zu verbessern. „Wir sind stolz darauf, die von uns entwickelten Spaltabdichtungen ,Mylar Tapes by Streifeneder‘, für fast jeden Flugzeugtyp anbieten zu können“, sagt Streifeneder. Das sogenannte Streifeneder-Finish habe in der Segelflugwelt einen klangvollen Namen.
In der lichtdurchfluteten 1200 Quadratmeter großen Halle stellt Streifeneder auf einer CNC-Portalfräsmaschine darüber hinaus hochpräzise Formteile und Urmodelle aus Kunststoff oder Aluminium her. Diese Technologie ermögliche es, Formen für Segelflugzeuge, Motorsegler, Windkanal-, Flugzeug- und Schiffsmodelle sowie Karosserien zu produzieren. So baut er auch Teile für andere Hersteller, darunter Abdichtbänder und Benzinsäcke oder für Windkraftanlagenhersteller Messgeräte für Windkanäle. Dabei gibt es für ihn keine Mindestmenge. Er baut auch nur ein Teil. „Man wird immer reich an Erfahrung“, sagt der 53-Jährige. Zwischen 600 000 und 700 000 Euro jährlich setzt er um. „Ich möchte davon leben können“, sagt er. In der Luftfahrt werde in Dekaden gerechnet, nicht in kurzfristigen Gewinnen. 2023 sei ein mittelmäßiges Jahr gewesen, für 2024 hoffe er auf ein besseres.
Konkurrenz mache ihm dabei nichts aus. Es gebe Firmen, die den einen oder anderen Bereich mit tangierten, den er abdecke. Im Umkreis von 40 Kilometern gebe es jedoch keine Mitbewerber.
Mehr Sorgen als die Konkurrenz macht ihm dagegen, Personal zu gewinnen. „Wir sind auf der Suche nach interessierten Mitarbeitern“, sagt er. Er bilde Leichtflugzeugbauerinnen und Leichtflugzeugbauer aus. Für den dreijährigen Ausbildungsberuf sei die Mittlere Reife und vor allem handwerkliches Geschick Voraussetzung, sagt er. Interesse an der Fliegerei helfe natürlich. Da bekäme man einen anderen Zugang. Er selbst habe als Kind Modellflugzeuge per Fernsteuerung gelenkt und fliege bis heute Segel- und Motorflugzeuge. „Beruf hat etwas mit Berufung zu tun und ist nicht nur Gelderwerb“, so sein Credo. Man sollte sich mit seiner Arbeit identifizieren und Verantwortungsbewusstsein haben. „Der Spielraum für Fehler ist verhältnismäßig gering“, meint Streifeneder. Er selbst hat nach der Mittleren Reife Modellschreiner in Wendlingen gelernt und ist 1991 ins elterliche Unternehmen eingestiegen. Bis heute gefalle ihm das weite Spektrum, das er in seinem Betrieb abdecke. Manchmal warte er nicht nur das Flugzeug, sondern ganze Teile des Rumpfes müssten komplett für nur eine Maschine nachgebaut werden. Doch er wisse, die Menschen bevorzugten Industrie- statt Handwerkbetriebe. „Von der Alb runter ist es einfacher, als auf die Alb hoch“, meint er mit Blick auf die Berufspendler zu Großbetrieben in Richtung Stuttgart.
Im Museum gibt es die Flugzeuge als Holzmodelle zu bestaunen
Manchmal aber komme auch jemand auf die Alb hoch. Nicht unbedingt zu ihm als Arbeitskraft, sondern ins angrenzende Museum, wie jüngst 60 Modellflugzeugflieger aus der Schweiz. Nach Voranmeldung können sich Interessierte dort über die Geschichte der Firma Glasflügel Segelflugzeugbau Schlattstall informieren. Christian Streifeneder öffnet die Tür zum Museum. Dort steht eine Hornet der Firma. Es ist der Prototyp in Originalgröße. In mehreren Vitrinen sind alle von Hänle konzipierten Glasflügelflugzeuge in Holz nachgebaut. So sind die weltweit verstreuten Originalflugzeuge en miniature in der Nähe ihres Herstellungsortes zu bewundern.
Pioniere des Segelflugbaus
Libelle
1957 gründete Eugen Hänle die Firma Glasflügel Segelflugzeugbau Schlattstall. Die Libelle war das ursprüngliche Logo der Firma. Sie wird heute immer noch mit Glasflügel Segelflugzeugbau in Verbindung gebracht, denn 1964 startete die Firma die groß angelegte Produktion der H301 Libelle (Offene Libelle). Sie gilt als Vorreiter der 1975 neu geschaffenen 15-Meter-Klasse. Mehr als 100 Segelflugzeuge dieses Typs wurden zwischen 1964 und 1969 produziert. Dies war das erste Mal, dass eine Glasfaserflugzeugkonstruktion in Massenproduktion hergestellt wurde.
Hornet
Die Firma baute auch andere bekannte Segelflugtypen, darunter die Hornet. 1975 kam Eugen Hänle bei einem Flugunfall ums Leben. Das Unternehmen geriet dadurch in finanzielle Schwierigkeiten. Es kooperierte kurzzeitig mit dem Segelflugzeughersteller Schempp-Hirth und ging 1982 nach mehreren Umfirmierungen in Konkurs.
Salto
Ursula Hänle ist bekannt für den Entwurf und Bau des Flugzeugs Salto, der hauptsächlich für den Segelkunstflug gebaut wurde. Bis heute ist sie die einzige Frau, die ein Segelflugzeug entwarf und in Serie baute. Sie starb 2009.