Der FC Bayern holt sich in Rekordgeschwindigkeit den Titel und huldigt Jupp Heynckes, dem Trainer im hochtourigen Auslaufmodus.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Und jetzt fliegt er doch, Jupp Heynckes. Zwei, drei Mal lassen ihn seine Spieler hochleben als Deutschen Fußballmeistertrainer in Frankfurt am Samstag um kurz nach halb sechs Uhr und fünf Spieltage vor der Zeit, dann setzten sie ihn am Boden ab, vorsichtig, rücksichtsvoll, ehrerbietig. Wie eine Porzellanfigur: Heynckes ist kein junger Mann mehr und hat zwei kaputte Knie. Er geht dann selber über zu ein paar seltsamen Rütteltänzen im Stehen mit einzelnen Spielern.

 

Viel Zeit haben die Bayern nicht zum Freuen oder wollen oder dürfen sie nicht haben. Der Sportdirektor Mathias Sammer hat gesagt, um 18 Uhr sei Schluss mit lustig. Daraufhin hat der Kapitän Philipp Lahm gekontert, das „eine oder andere Bier“ werde dran glauben müssen. Dann geht aber auch bald das Flugzeug heim, als die Bayern ankommen, ist alles grau im Erdinger Moos. Die Spieler steigen in die Autos, von der Nacht verschluckt, weg sind sie, es wird nur im kleinen Kreis noch angestoßen. Um zehn Uhr am Sonntag ist Training, am Dienstag fliegen sie in der Früh nach Turin, weiter, weiter, immer weiter.Und nun wäre also doch fast alles ungefähr genauso wie vor dreißig Jahren, als Paul Breitner, frisch gebackener Meister damals vier Spieltage vor Saisonschluss mit dem FC Bayern, befand, „ein Scheißverein“ sei das, da werde noch nicht mal richtig gefeiert. Oder nicht?

Champagner im Entmüdungsbecken

Breitner hat damals im Olympiastadion im Restaurant angerufen und ein paar Flaschen Champagner ans Entmüdungsbecken bestellt. Da lagen dann Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, Breitner eben und der Trainer Udo Lattek drin (es gibt ein paar legendäre Nacktfotos), was aus zweierlei Gründen interessant ist. Man sieht, dass es beim FC Bayern, nach Mordsmännerkrächen zwar, aber immerhin, eine personelle Kontinuität gibt wie bei keinem anderen Verein in Deutschland: Uli Hoeneß, klar, ist mittlerweile der Präsident und der FC Bayern schlechthin. Beckenbauer war es, beides. Und Beckenbauer ist Beckenbauer. Breitner, ehemals abtrünnig und ein Sturkopf sowieso, arbeitet als Hohepriester in der Halbzeitpausenunterhaltung bei Heimspielen und als Scout für den FC Bayern – sein Sohn redigiert das Stadionmagazin. Udo Lattek ist von Köln aus eher spirituell dabei. Aber halt auch immer Oberbayer, wenn’s drauf ankommt.

Moderates Feiern, wie das heute heißt, hat den Bayern damals im Übrigen geholfen. In der Saison drauf fingen sie an mit dem Gewinn des Europapokals der Landesmeister, was heute Champions League heißt. Den holten sie dreimal, hintereinander, aber noch mal zurück.

Frankfurt am Main also, und an kaum eine deutsche Stadt dürfte Jupp Heynckes, der Bayern-Trainer im hochtourigen Auslaufmodus, zwiespältigere Erinnerungen haben, professionell gesehen. Vor Ort wurde er 1971 zum zweiten Mal hintereinander – ein Novum damals – mit Borussia Mönchengladbach Deutscher Meister. Das war in dieser Saison, als daheim am Bökelberg ein ganzes Tor umgefallen ist beim Spiel gegen Bremen. „Morsches Holz“, sagte der Platzwart über den kaputten Pfosten, woraufhin alle in die Kabine trotteten und dachten, dann würde man wohl erneut spielen müssen. Das DFB-Schiedsgericht allerdings erkannte auf Schlamperei und gab die Siegpunkte den Werderanern, zwei waren das damals noch. Den Frühling über lief Gladbach diesen Zählern hinterher, allen voran Jupp Heynckes, Tor um Tor, bis zum letzten Spieltag, an dem die Bayern, der ewige Konkurrent in den Siebzigern, in Duisburg verlor, während Gladbach gegen die Eintracht 4:1 gewann.

Ein Abgang ohne Abfindung

Über zwanzig Jahre später ist Heynckes als Trainer aus Bilbao nach Frankfurt zurückgekommen. Da war er weniger glücklich, legte sich mit den Vereinsgötzen Anthony Yeboah, Jay-Jay Okocha und Maurizio Gaudino an – und gab nach nicht mal einer Saison entnervt von zu viel Disziplinlosigkeit auf, ohne Abfindung.

Heynckes halt.

Die Meisterschaft holen sie lässig mit der Hacke

Frankfurt: es ist dieses Mal aber nicht spannend, nicht nervenaufreibend, wie der FC Bayern seine 23. Deutsche Meisterschaft holt – die erste gewannen sie 1932, auch gegen Frankfurt, allerdings in einem richtigen Endspiel, in Nürnberg. Es ist eine irgendwie längst gewonnene Meisterschaft en passant für die meisten, denn der FC Bayern hat zwar eine Rekordsaison hinter sich, wäre aber nicht der FC Bayern, wenn er nicht mehr Rekorde wollte: zusätzlich den DFB-Pokal und obendrein den Gewinn der Champions League. Möglich wäre das. Gerade haben die Cluboberen Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge dem „Focus“ erzählt, dass die Zukunft „rosarot“ sei. Kein europäischer Verein besitzt mehr eigenes Geld und hat größere Perspektiven. Bayern will, wie Hoeneß sagt, das bessere Barcelona werden, folgerichtig kommt der neue Trainer genau dorther.

Noch aber ist der alte da, und er ist wirklich alt nach Bundesligamaßstäben, 67 Jahre, so alt war noch kein Meistertrainer.

Heynckes hat mahnen müssen zur Halbzeit in Frankfurt, nach dem verschossenen Elfmeter von David Alaba. Er hat das die ganze Saison getan: wohldosiert, wenn die Spannung im Superluxuskader nachzulassen schien. Selbst zwei Gegentore zuletzt vom HSV – bei neun geschossenen! – hat Heynckes den Seinen vorgehalten. Dafür hat Bastian Schweinsteiger das Siegtor in Frankfurt mit der Hacke geschossen. Es war wie das Symbol für diese Saison, in der es nach zwei Meisterschaften en suite für die Dortmunder oft ausschaute, als würde der FC Bayern fast alles mit links gewinnen. Wie man so sagt. Heynckes weiß das besser.

Es geht noch mehr

Jupp Heynckes will mehr als die Meisterschaft in diesem Jahr, alle wollen das beim FC Bayern, jetzt können sie’s ja sagen. Und sie sagen’s auch, direkt nach dem Spiel in Frankfurt, wo Uli Hoeneß – im Sammer’schen Sinne wohl nicht mehr hundertprozentig nüchtern – dieses Funkeln in die Augen bekommen hat, halb von der Freude im Moment, halb noch vom Furor aus dem letzten Mai, als das Champions-League-Endspiel gegen Chelsea verloren gegangen war – daheim, in München.

„Ein Desaster“, hat Hoeneß am Samstag gesagt, und dieses Wort hatte er noch nie verwendet für jenes Spiel, das um Millimeter und am rechten Pfosten nach Schweinsteigers Elfmeterschuss verloren gegangen ist. Man ahnte, was Hoeneß ein ganzes Jahr lang umgetrieben und warum der FC Bayern, also Hoeneß, heuer diesen ganzen in der Bundesliga und europaweit gesehen unvergleichlichen Aufwand betrieben hat: Matthias Sammer installiert als G’wissenswurm; Javier Martinez und Dante und Mario Mandzukic gekauft für ein Höllengeld. Und alle immer bei Laune gehalten: die VIPs in den Logen, die Ultras am Rang, die nationale Fangemeinde – notfalls auch mit Derbheiten wie der vom „Dreck“, den der Präsident einmal sah, als nicht in seinem Sinn gespielt wurde, vorübergehend.

Ziemlich verhaltenes Feiern

Selbst Dauerenttäuschte wie Mario Gomez und Arjen Robben hielten sich wacker, wobei Robben jetzt wohl durchspielen wird, wo Toni Kroos nur noch humpeln kann. Aber wann wäre der FC Bayern weniger an Krücken gegangen als im Moment. Selbst die partywilligsten Fans tun mit. München ist kollektiv auf Clausthaler, wenn man so wollte – noch.

Natürlich sind sie auf der Hut: Heynckes, Hoeneß und die anderen. Sie haben wohl vernommen, wie prompt und extrahöflich die Glückwünsche zur Meisterschaft aus Dortmund kamen von den Watzkes und Klopps, die ihnen ein Bein stellen könnten, europäisch gesehen, und genau das vorhaben. Ein definitiv letztes Mal in dieser Form wehrt sich jetzt gegen die neuen Rivalen die, sagen wir, Meisterklasse von 1972. Damals wurden sie Europameister: Breitner, Hoeneß, Beckenbauer und Heynckes. Und, gerne vergessen, aber unvergesslich, Hans-Georg Schwarzenbeck. Um nicht nur vom Fußball zu reden, bitte: Schwarzenbeck, der Bayerische Rundfunk hat ihn befragt unter der Woche, freut sich zwar noch am FC Bayern, aber noch mehr freut ihn als Pensionär das Leben an sich, ohne all das, was man heute so Hype heißt. Aufregen tue ihn nicht viel, hat der Katsche gesagt, und aufpassen müsse er nur, „was I ess und trink, damit I ned zu dick weerd“.