Nach dem 2:2 bei Juventus Turin im Hinspiel des Achtelfinales der Champions League rätseln die Münchner, warum ihre Spielkunst nach 60 Minuten trotz einer 2:0-Führung endete.

Turin - So unentschieden wie das Ergebnis waren auch die Bewertungen danach. Zwischen Freude über einen lange Zeit bemerkenswert überlegen geführten Auftritt bei Juventus Turin und Ärger über den noch verschenkten Sieg pendelten die Meinungen beim FC Bayern. Nicht nur je nach Gesprächspartner, sondern auch in den Gedankensträngen eines jeden Einzelnen, zuweilen sogar in einem Satz. „Ein bisschen Ärger ist dabei, aber die Ausgangslage ist sehr gut für uns, deswegen braucht man sich nicht zu ärgern“, befand der Kapitän Philipp Lahm nach dem 2:2 (0:1) im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League. Wohlgemerkt beim Finalisten der Vorsaison, wie Pep Guardiola erinnerte.

 

Der Trainer war allerdings der Einzige, der die zwiespältigen Eindrücke vom Dienstag als durchweg „sehr gut“ einstufte. Nicht nur die ersten 60 Minuten, in denen Thomas Müller (43.) und Arjen Robben (55.) mit ihren Toren der spielerischen Überlegenheit sogar noch zu wenig Ausdruck verliehen hatten, sondern auch die jenes letzten Spieldrittels, in dem der verdiente Erfolg und die mögliche Vorentscheidung für das Versetzungsziel Viertelfinale entglitten war.

Kimmich ist etwas zu spät dran

Vor Paulo Dybalas 1:2 (62.) hatte der junge Aushilfsverteidiger Joshua Kimmich beim Versuch, an der Strafraumgrenze zu klären, den Ball nicht entschlossen genug und zudem in die Füße von Mario Mandzukic umgelenkt. Bei Stefano Sturaros 2:2 (76.) bald darauf hatte es eines weiteren Fehlers von Kimmich gar nicht bedurft, sondern nur der Winzigkeit seines verspäteten Eingreifens.

Hinzu kamen weitere Turbulenzen in der Schlussphase, die einen Eindruck vermittelten, wie schmal der Grat auf diesem Niveau sein kann zwischen großer Spielkunst und beinahe schon maßloser Überlegenheit auf der einen Seite sowie einkehrender Verunsicherung und Wackelfüßen auf der anderen Seite. Eine Situation samt Gegentor hatte für die Volte genügt.

Dass „Juve immer noch eine sehr, sehr gute Mannschaft“ ist, wie Lahm erinnerte, hatte in jener Szene, die die Verwandlung des Spiels von einem Klassenunterschied in einen offenen Schlagabtausch herbeiführte, vor allem der sonst gute Kimmich erfahren müssen. Weshalb nicht nur bei Manuel Neuer die Enttäuschung überwog. „Ich gehe mit einem mulmigen Gefühl nach Hause, weil man schon gedacht hat, man könne mit einem sehr guten Ergebnis oder sogar mit einem perfekten Ergebnis zurück nach Hause fahren“, sagte der Torwart. Arjen Robben befand uneingeschränkt kritisch: „Wir müssen so spielen wie in den ersten 60 Minuten – nur halt 30 Minuten länger“, erklärte der Niederländer: Wenn man gegen so einen Gegner 2:0 führt, muss man das zumachen. Das darf nicht passieren.“

Im Rückspiel soll vieles besser werden

Als Anreiz für das Rückspiel am 16. März dienen nun die Lernminuten nach der Lehrstunde. Ein Spiel konsequent durchzuziehen ist das Lernziel für die zweite Verabredung. Mit jener „Schablone“, wie Lahm die taktische Herangehensweise nannte, die „in den ersten 60 Minuten sehr gut gepasst hat“. Zumal Juve in München wohl nicht großartig anders agieren werde, wie er vermutet. Die Bayern wissen allerdings auch, dass die Psychologie des Spiels wenig von Schablonen hält und eigentlich eindeutige Kräfteverhältnisse wie die von Turin gerne mal ignoriert.

Ähnliches könnte auch beim zweiten Schritt Richtung Viertelfinale ein wichtiger Faktor werden, das ahnen die Bayern. Und die Sorge, mit dem dominanten Ballbesitzstil die von Juve geliebten Räume für Konter zu öffnen, könnte die feinen Füße der Münchner vielleicht sogar noch ein bisschen mehr wackeln lassen als diesmal, wenn eine Entscheidung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden sollte.

Konzentration auf höchstem Niveau ist gefragt

Diskutabel ist allerdings auch, ob es überhaupt möglich ist, den Ball unablässig so präzise zirkulieren zu lassen und stets die Konzentration dafür auf allerhöchstem Niveau zu wahren, wie es die Münchner versuchen. Oder ob nicht vielleicht Rhythmuswechsel angeraten wären, um sich nicht selbst zu überfordern mit dem auch gedanklich sehr anstrengenden Staccato der eigenen Stafetten.

In diese Richtung gingen auch die Einschätzungen von Thomas Müller. „Wir haben sie durch das 1:2 ein bisschen selbst ins Spiel zurückgebracht. Insgesamt haben wir es in der zweiten Halbzeit nicht mehr geschafft, so dominant zu sein“, befand der Nationalspieler. Und weiter: „Es wäre ja auch komisch gewesen, wenn wir Juve im eigenen Stadion 90 Minuten lang an die Wand gespielt hätten.“ Vielleicht sollten sie sich das besser gar nicht vornehmen fürs Rückspiel in München, diese Ahnung beschlich auch Robben. Die zweite Verabredung mit Juve, sagte der Niederländer, „müssen wir mit viel Leidenschaft angehen. Aber auch mit dem Kopf.“