Die 0:3-Niederlage gegen RB Leipzig im Supercup hat den FC Bayern aus dem Rausch nach der Verpflichtung Harry Kanes gerissen. Gesucht werden nun Antworten auf gleich mehrere Fragen.

Am Sonntagvormittag lag München zunächst erschöpft darnieder vom großen Hype um Harry Kane. Harry hier, Kane da, so war das ja spätestens seit Donnerstag gegangen, nach dem Durchbruch in den Verhandlungen um die am Ende mehr als 100 Millionen Euro teure Ablöse mit Tottenham Hotspur. Und so hatte sich das fortgesetzt mit allerlei Kapriolen am Freitag und Samstag rund um den Supercup gegen RB Leipzig, ehe Kane am Sonntag präsentiert wurde.

 

Der Umstand, dass die Bayern am Vorabend 0:3 (0:2) durch Dani Olmos Tore (3./44./68.) verloren und damit im ersten Pflichtspiel der Saison bei Kanes Debüt den ersten Titel verpasst hatten, sorgte für Ernüchterung und Debatten darüber, wie es zu diesem Dämpfer hatte kommen können. Thomas Tuchel zeigte sich regelrecht entsetzt und ratlos. Er erkenne „nichts mehr wieder“ von jenen Inhalten, um die es in der Vorbereitung gegangen sei, sagte der Trainer und sprach von „hunderten Fehlerbildern“. Tuchel entschuldigte sich sogar indirekt bei Kane. „Das tut mir einfach nur leid. Er denkt wahrscheinlich, wir haben hier vier Wochen nicht trainiert“, sagte er.

Wie kommt der Hype um Kane bei der Belegschaft an?

Am Sonntagmittag, als der neue Mittelstürmer auf einer Pressekonferenz in der Münchner Arena vorgestellt wurde, hieß es dann auch schon wieder: Alles Kane oder was? „Wir hätten uns alle einen besseren Einstand für Harry gewünscht, dass Harry gleich mit seinem ersten Titel einsteigen kann“, sagte der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen. Zuweilen klang es so, als ordne sich der deutsche Branchenprimus seinem Zugang unter, ja fast, als habe sich der FC Bayern München in den FC Harry Kane umbenannt. Wie es beim Rest der Belegschaft ankommt, dass der Zugang dermaßen über alle anderen gestellt wird, gefühlt sogar über den Verein, wird spannend zu beobachten sein.

Kane sind die immensen Erwartungen an ihn bewusst. Die Begeisterung der Fans, den Empfang in München bezeichnete er als „magisch“, aber auch als „krass“, als er über die mehr als 70 000 Menschen sprach, die seinen Flug am Freitag im Internet verfolgt hatten. „Ich hoffe, dass ich das alles zurückzahlen kann“, sagte er am Sonntag und ergänzte zur Ablöse: „Diese Verantwortung fühle ich natürlich.“ Max Eberl hatte am Vorabend bereits Bedenken geäußert. „Ich finde es fast schon zu viel, was Harry Kane hier aufgeladen wird. Das ist ja wie ein Messias, der über das Wasser läuft“, sagte Leipzigs Sport-Geschäftsführer.

Es ist in den vergangenen Tagen auch ein medialer Rummel entstanden, der selbst im Dauerhype um den FC Bayern in der mehr als 123-jährigen Geschichte dieses Vereins so noch nie dagewesen war. Das können die Münchner durchaus als Erfolg verbuchen, wenn es darum geht, das Gesamtvolumen des Vierjahresvertrags bis 2027 von mehr als 200 Millionen Euro für Ablöse und Gehalt für den bereits 30 Jahre alten Mittelstürmer gegenzurechnen. Man sei „ein Stückchen All-in gegangen“, hatte Dreesen eingeräumt, habe aber „immer in einem Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft“ gehandelt.

Wie integriert sich Kane ins Team?

Trikotverkäufe, Auslandsvermarktung und Fernsehgelder, noch mehr Interesse von Sponsoren – all das fließt in die Kalkulation ein. Voraussetzung dafür, dass die Rechnung aufgeht, sind nun Tore, Tore, Tore von Kane und die dadurch erhofften Erfolge, nicht nur national, sondern vor allem auch in der Champions League. Bisher hat sich Kane in seiner Karriere stets als Torgarant erwiesen, wie allein seine seit 2015 stets mindestens 17 Tore pro Saison in der Premier League belegen. Und das bei seinem Heimatverein Tottenham, der nicht zur absoluten Spitze in England und Europa zählt. Die Bayern haben gute Gründe, darauf zu vertrauen, dass Kane nun auch bei ihnen Tore garantiert.

Wenn sich der Blick nun nach vorne richtet nach dem ersten großen Harry-Hype, stellt sich die Frage, wie gut der neue Mittelstürmer mit der Mannschaft wohl auf Dauer harmonieren wird. Sowohl für die bisherige Belegschaft als auch für Kane bringt das gemeinsame Wirken ja Veränderungen mit sich. Nicht nur das Spiel der Münchner Mannschaft, die in der vergangenen Saison ohne Nachfolger für den 2022 zum FC Barcelona gewechselten Neuner Robert Lewandowski auskommen musste, wird sich mit Kane ändern. Auch der neue Angreifer wird sich in seiner Spielweise auf die neue Umgebung und andere Liga umstellen müssen.

Kane will Tore machen

Bei den Spurs hatte er als Neuner und Zehner in Personalunion gespielt und neben 213 Tore in 320 Premier-League-Spielen auch 50 Vorlagen beigesteuert. Beim FC Bayern aber ist der feine Fußballer Kane vor allem als Zielspieler im Zentrum eingeplant, nicht als Allesmacher. Um die vorletzten und letzten Pässe auf Kane sollen sich der Zehner Jamal Musiala und die Flügelspieler wie Kingsley Coman und Serge Gnabry kümmern. Zuweilen sollen sie aber auch Kanes Vorlagen verwerten. Das soll für Flexibilität sorgen und die Bayern unberechenbarer machen. Allerdings kontern diese seltener als Tottenham und haben deshalb oft weniger Platz, auch darauf muss sich Kane einstellen. Vielleicht schon beim Bundesliga-Auftakt am Freitag bei Werder Bremen. Dann, sagte Kane, wolle er möglichst anfangen, mit seinen Toren zum Erfolg beizutragen.