Der dramatische Einbruch der Marktanteile zwingt den ehemaligen Marktführer RTL zur Programmoffensive. Doch mit Veränderungen tut sich der Privatsender schwer. Das hat auch wirtschaftliche Gründe.

Hamburg - Jünger will der Sender werden, innovativer, überraschender. Das versichern die Programmchefs von RTL immer dann, wenn sie darauf angesprochen werden, wie der ehemalige Marktführer den dramatischen Verlust seiner Marktanteile stoppen will. Am Mittwoch hat der Kölner Privatsender sein Programm für die neue Saison vorgestellt. Und wen verkauft er als sein neues Gesicht? Es ist der Ex-Moderator der ehemals erfolgreichsten deutschen Unterhaltungsshow: Thomas Gottschalk, 63. Zusammen mit Günther Jauch, 56, soll er eine „interaktive Liveshow für die ganze Familie“ moderieren: „Die 2 – Gottschalk und Jauch gegen alle“. Wenn das der große Coup ist, dann dürfte der Zuschlag für die Spiele der Fußball-Nationalmannschaft (siehe unten) dem Sender mehr bringen als die gesamte Programmoffensive.

 

Viel Ex, wenig Neues: das ist die Schleife auf einem Paket, das außer schwächelnden Quotenbringern wie der Kuppelshow „Bauer sucht Frau“ wenig Prickelndes enthält. RTL hat das Konzept der ehemals so erfolgreichen Samstagabendshow „Schlag den Raab“ (Pro Sieben) einfach nur geringfügig variiert, frei nach der Devise: Besser gut kopiert als schlecht neu erfunden. Der Sender tauscht den Moderator gegen zwei Publikumslieblinge der Generation Ü 50 ein und betet, dass ihm das Publikum dies als Innovation abkauft.

Zwei Publikumslieblinge Ü 50 sollen Quoten bringen

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass dieses Kalkül nicht aufgehen wird. Junge Zuschauer haben den ZDF-Veteranen Gottschalk schon freundlich ignoriert, als der sein Glück noch in der Jury der RTL-Castingshow „Das Supertalent“ versuchte. Sie zu erreichen fällt dem Fernsehen ohnehin immer schwerer. Das gilt nicht nur für RTL. Es ist ein gesellschaftliches Problem, ein Generationskonflikt. Bedürfnisse und Sehgewohnheiten segmentieren sich, und Mediatheken oder Video-on-Demand-Portale sind besser geeignet, Zielgruppen zu bedienen. Spielshows zur Prime Time, die die ganze Familie ansprechen, sind Auslaufmodelle. Das Fernsehen hat seine Rolle als Lagerfeuer der Nation längst verloren. Das zeigen der schleichende Tod der ZDF-Show „Wetten, dass . . . .?“ und die immer absurder werdenden Versuche, sie wiederzubeleben.

Dass RTL im Begriff ist, dieselben Fehler zu wiederholen, ist symptomatisch für die Krise des Senders. RTL, der Name stand einmal für leicht verdauliche TV-Unterhaltung, für freche Früchte („Tutti Frutti“), für Tipps von der Super-Nanny oder für erfolgreiche US-Serien wie „Dr. House“.

Kein Instinkt mehr, was beim Publikum ankommt

Der Mix kam an. In den 90er Jahren hatte sich der Privatsender – 1984 gestartet als Alternative zu den verstaubten Programmen der öffentlich-rechtlichen Senderanstalten – als erste Adresse für die von der Werbewirtschaft so umgarnte Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen etabliert. Der Sender hatte einen sicheren Instinkt dafür, was beim Publikum ankam. Doch diese Spürnase lässt ihn seit einigen Jahren im Stich. Der Niedergang war schleichend. Es entbehrt nicht der Ironie, dass er mit dem Aufstieg einer der mächtigsten Medienfrauen verbunden ist: Anke Schäferkordt.

Seit sie, die ehemalige Vox-Chefin, 2005 die Leitung von RTL übernahm, hat sie den Umsatz zwar in rekordverdächtige Höhen geschraubt. 2012 lag er bei knapp sechs Milliarden Euro. Die RTL-Gruppe, das ist Europas mächtigster TV-Konzern – der Goldesel des Bertelsmann-Konzerns. Schäferkordt ist seit 2012 Co-Vorstandsvorsitzende des gesamten Konzerns und die erste Frau im Vorstand der Bertelsmann-AG. Die Leitung von RTL hat sie 2012 an den ehemaligen Vox-Chef Frank Hoffmann übergeben.

Bis 2012 konnte sich RTL auf den Erfolgen ausruhen

Doch in dem Maße, wie sie die Rendite steigerte, blieb das Programm auf der Strecke. Schäferkordt hat ihre Karriere nach dem BWL-Studium im Controlling von RTL begonnen. Sie gilt als Erbsenzählerin. Sie war es, die den Trend zur nach Drehbuch geschriebenen Realität befördert hat. Den Nachmittag pflastert RTL mit Pseudo-Dokus wie „Familien im Brennpunkt“, kostengünstig, weil nach Drehbuch und mit Laiendarstellern produziert wird. Neue Marken hat sie sonst nicht gesetzt. Die Kuppel-Soap „Bauer sucht Frau“, eine deutsche Adaption des britischen Formats „Farmer wants a wife“, ist der einzige Quotenbringer, den die kühle Rechnerin RTL hinterließ.

Noch bis 2012 konnte sich der Marktführer auf seinen Erfolgen ausruhen. Wenn sich ein Format in der x-ten Staffel abgenutzt hatte, wurde es einfach durch ein anderes ersetzt. Statt überforderte Eltern führte RTL dann Junggesellen mit schwieriger Sozialprognose vor – noch gnadenloser. Dann aber brachen plötzlich auch die Zuschauerzahlen seiner Castingshows ein. Der Marktanteil von „Deutschland sucht den Superstar“, einst Aushängeschild des Senders, rutschte von 40 auf 28 Prozent ab – ein historischer Tiefstand. Schnell setzte RTL Bill und Tom Kaulitz in die Jury, die Zwillinge von Tokio Hotel, Idole von Millionen Teenies. Doch auch damit ließ sich die Quoten-Talfahrt nicht stoppen. 2013 erreichte die Show nur noch einen Marktanteil von 20 Prozent.

Beim Aushängeschild DSDS brechen die Zahlen ein

Im März dieses Jahres dann der Tiefschlag: Der erfolgsverwöhnte Sender musste seine Position als Marktführer räumen. Beim Gesamtpublikum landete RTL mit 11,2 Prozent nur noch auf Platz drei, hinter dem ZDF (13,1 Prozent) und der ARD (12,5 Prozent). Spätestens jetzt mussten die Programmverantwortlichen sich eingestehen, dass die öffentlich-rechtliche Konkurrenz den Dornröschenschlaf des Kölner Privatsenders genutzt hatte, um den Sender mit seinen Waffen zu schlagen. Es ist ein Wettbewerb, der sich noch verschärfen wird. Gerade hat das ZDF verkündet, dass die RTL-Gesichter Inka Bause und Christian Rach eigene Sendungen im Zweiten bekommen.

Nach außen gibt sich der Sender betont optimistisch

Der RTL-Sprecher Christian Körner hat inzwischen immerhin offiziell eingeräumt, dass die Kölner zumindest mit der Entwicklung im fiktionalen Bereich unzufrieden seien. „Da waren einige Flops dabei.“ Die Fortsetzung der US-Serie „Dallas“ zum Beispiel, die mangels Quoten bei Super RTL versendet wurde oder gefloppte Serienpiloten wie die „Med-Crimes“.

Doch nach außen gibt sich der Sender betont optimistisch. „Wir suchen weiter und entwickeln auch selbst neue Konzepte“, sagt der RTL-Sprecher. „Solange der Abstand zu unserer direkten privaten Konkurrenz so groß bleibt wie bisher, bricht bei uns bestimmt keine Hektik aus.“

Tatsächlich wird in der Formate-Küche so hektisch wie noch nie experimentiert – mitunter sogar mit Erfolg, wie das Format „Alle auf den Kleinen“ zeigt. Die Show ist die x-te Kopie von „Schlag den Raab“, bloß mit Oliver Pocher. Eine Programmoffensive sieht anders aus. Aber solange das Publikum den Köder schluckt, kann sich RTL mit Schönheitskorrekturen durchwurschteln. Bei den 14- bis 49-Jährigen liegt er immer noch vorne. Die Frage ist nur: Wie lange noch?