15 Menschen ziehen am Montag in eine leere Scheune ein. Sie sollen aus dem Nichts eine neue Gesellschaft gründen. Die Kameras von Sat1 werden rund um die Uhr dabei sein.

Berlin - Königs Wusterhausen liegt zwar nicht am Ende der Welt, aber man kann es von dort ziemlich gut sehen. Es ist ein Ort im Speckgürtel von Berlin, 30 000 Einwohner, viel Grün, ein Rundfunkmuseum. Es erinnert daran, dass dem Ort einmal eine strahlendere Zukunft bevorstand. 1920 wurde hier die erste Radiosendung der Republik ausgestrahlt. Doch geht es nach Sat 1, dann rückt die Wiege des Rundfunks jetzt wieder in den Fokus. Hier entsteht „Newtopia“, das neue Vorabendformat. In einem Kiefernwäldchen am Rande der Stadt sollen sich Kandidaten aus dem Nichts eine eigene Existenz aufbauen, rund um die Uhr bewacht von 105 Kameras. Ein Jahr lang haben sie dafür Zeit, mit der Außenwelt nur über ein Handy verbunden.

 

Doch als wäre das noch nicht genug, sollen die Pioniere auch gleich noch den Gegenentwurf für eine bessere Gesellschaft liefern. In einem Kinotrailer wirbt der Sender für „das größte TV-Experiment aller Zeiten“. Der Trailer erinnert an einen Werbespot, halb für Landlust, halb für Hornbach. Man sieht schöne Menschen. Sie zimmern ein Haus aus Brettern, sie pflügen ein Feld. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus?

Ortstermin in Königs Wusterhausen. „Newtopia“ verschwindet auf einem Grundstück der Telekom, eine Containerstadt hinter einem mannshohen Zaun, der Tag und Nacht bewacht wird. Fragt man Anwohner, ob sie wüssten, was hier entstehen soll, sieht man nur ratlose Gesichter. „Irgendwas mit Fernsehen“, sagt ein Mittsechziger, der vorbeiradelt. Er kennt das Gelände. Er sagt, zu DDR-Zeiten habe die berüchtigte Geheimpolizei dort ihre Nachrichtenzentrale gehabt, die Staatssicherheit. Im Ort raunte man sich zu, dort habe die Stasi einen heißen Draht nach Moskau gepflegt.

Das klingt nach schöner neuen Welt

Jetzt hat Sat 1 diesen zwei Hektar großen Flecken okkupiert. Mitten auf dem Gelände entstand ein High-Tech-Studio, eine Backstein-Scheune voller Kameras. Sichtschutz zu allen Seiten. Und die gute Anbindung an Berlin, eine halbe Stunde mit dem Auto oder der S-Bahn. Das prädestinierte Königs Wusterhausen als Schauplatz für dieses Format. Ausgedacht hat es sich John de Mol, der Mann, der „Big Brother“ erfand und damit den Siegeszug des Reality-TV begründete. „Newtopia“, das klingt nach schöner neuer Welt, und als Schlaraffenland hat der TV-Millionär das Format in Holland mit Erfolg erprobt und dann in die ganze Welt verkauft, in die USA, nach China, in die Türkei – und jetzt eben auch nach Deutschland. An diesem Format sei alles echt, nichts inszeniert, heißt es bei Sat 1.

Noch prüft der Kamera- und Lichtkonzeptioner Michael Westhoff in Königs Wusterhausen, ob die Objektive jeden Winkel auf dem Terrain erfassen, wenn der Sender ein „Best of“ um 19 Uhr ausstrahlt, von montags bis freitags, eine Stunde. Am Montag ist es soweit. Dann ziehen 15 Menschen in die Scheune ein. Es gibt keine Möbel, keine Toilette, kein Bad, nur Anschlüsse für Gas und Wasser. Zwei Rinder, 25 Hühner, das ist alles, was die Bewohner erwartet. Ein Safe, in dem Sat 1 das Startkapital von 5000 Euro deponiert hat und ein Handy mit einer Prepaid-Card für 25 Euro.

Eine Siegerrpämie gibt es nicht

8187 Kandidaten sollen sich beworben haben. Eine Siegerprämie winkt ihnen nicht, das schränkt den Kreis der Teilnehmer ein. Es ist eine andere Klientel als jene Selbstdarsteller, wie man sie aus dem „Big- Brother“-Container kannte. Das ahnt man, wenn man sich Folgen der holländischen Mutter-Serie anschaut. Da sieht man Bilder, wie man sie von „Big Brother“ kennt. Menschen, die, kaum dem Schlafsack entstiegen, sich schon in die Haare geraten. Mit dem Unterschied, dass es nicht um den letzten Rest Haargel geht, sondern um die Frage, wie die Bewohner ihren Gewinn investieren sollen. Kaum zu glauben, aber wahr: Das Experiment hat aus den Pionieren erfolgreiche Unternehmer gemacht. Die Einnahmen aus Konzerten, einem Lokal und einem Internet-Versand für selbstgebaute Möbel sprudeln so kräftig, dass sie es sich leisten können, ihre Lebensmittel im Supermarkt zu bestellen. Doch mit dem Erfolg, sagt die Ex-Bewohnerin Nicoline, sei auch das Klima rauher geworden. Die Studentin war als Slow-Food-Aktivistin in das Camp gezogen. Sie sagt, es sei eine gute Möglichkeit gewesen, eine größere Öffentlichkeit für ihren Kampf um eine bewusstere Ernährung zu erreichen. Als sie das Camp verließ, sei von ihrem Anspruch jedoch nicht viel übrig geblieben. Die Zuschauer interessierten sich mehr für ihr Techtelmechtel mit dem Aussteiger Rienk.

Wenn das Königs Wusterhausens Bürgermeister Lutz Franzke (SPD) wüsste. „Wer will denn so eine Sendung sehen?“, wurde der Sechzigjährige von Müttern gefragt, als er sein Enkelkind aus der Kita abholte. Franzke hat kurz überlegt. Er kennt die Sendung nur in der amerikanischen Version, er hat sie sich im USA-Urlaub angesehen. „Mir war das zu reißerisch“, sagt er. Auch bei den Amerikanern fiel das Format durch. Nach zwei Monaten wurde die Sendung eingestellt. Fünfzig Millionen US-Dollar soll der Sender Fox versenkt haben. Franzke sagt, er drücke Sat 1 die Daumen. Er seufzt. Es wäre nicht die erste Investitionsruine in der Region. Ein paar Kilometer weiter liegt die verlassene Baustelle des neuen Hauptstadtflughafens BER.