Immer mehr Messen werden abgesagt. Die Erotikmesse Obscene in Sindelfingen findet dagegen unter Auflagen statt. Dino Sadino, ein Medienphänomen, ist mit seiner ersten Fetischkollektion dabei. Wir sprachen mit dem BDSM-Fan.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart/Sindelfingen - Schwarzer Zylinder, Sonnenbrille, Rauschebart, Tattoos – Dino Sadino, den Boulevardblätter den „verrückten Star-Designer“ nennen, weiß genau, wie man zur Marke wird. Auf eine unverwechselbare Optik kommt’s an. Bei Designern ist dazu eine gewisse Extravaganz empfehlenswert. Schon in jungen Jahren hat der gebürtige Reutlinger den Ruf eines „Paradiesvogels“ erworben, der vom Rand der Schwäbischen Alb in die weite Welt aufbricht – als Jetsetter zwischen dem Hahnenkamm-Rennen von Kitzbühel und dem South Beach von Miami. Promis von den Atzen bis hin zu Sean Paul stattet er modisch aus und ist auf roten Teppichen ein gern gesehener Gast für TV-Magazine.

 

Am Eingang müssen alle Besucher ihren Namen hinterlassen

Froh ist der 34-Jährige, dass die Erotikmesse Obscene nicht abgeblasen wird, bei der er seine erste Fetischkollektion vorstellen wird. Zur sexuellen Fortbildung fern vom Schmuddel werden von diesem Freitag bis Sonntag 3000 Besucherinnen und Besucher in der Messe Sindelfingen erwartet. Nur vier Absagen von Ausstellern hat es aufgrund der Angst vor Corona gegeben, sagt Veranstalter Michael von Enzberg. Am Donnerstag, berichtet er, habe das Ordnungsamt weitere Auflagen verfügt. Noch mehr Desinfektionsspender als geplant werden aufgestellt, die Toiletten öfter gereinigt. Hinzu kommt die Pflicht, dass sich alle Besucherinnen und Besucher am Eingang namentlich registrieren lassen müssen, um für den Fall der Fälle gewappnet zu sein. Aber nur dann, wenn es zu einer Corona-Ansteckung kommt, sollen die Daten verwendet werden.

„Wir wollen ein Zeichen für Offenheit und Toleranz setzen“

Die Obscene will anders als die anderen Sexmessen sein. Sie legt wert auf „Erotik mit Anspruch“. Pornos werden nicht gezeigt, es herrscht Fotografierverbot. Die Messe will „ein Zeichen für Offenheit, Respekt und Toleranz setzen.“ Mitten drin ist Dino Sadino. Sein Vorname ist echt, sein Nachname künstlerisch gewählt – nach einer Italienerin, in die er sich während seines Designstudiums in London verliebt hat. „Da es leider mit der Hochzeit am Ende nicht geklappt hat, habe ich wenigstens ihren Namen übernommen, in Erinnerung an eine tolle Zeit“, sagt er. Der Designer, der oft bei Stuttgarter Events zu Gast ist, hat goldene Kelche sowie Boxermäntel entworfen. Seine T-Shirts mit schrägen Motiven produziert er aus fair gehandelter Baumwolle komplett im Land. Nachhaltigkeit ist ihm wichtig.

Für Farbenfreude ist der 34-Jährige bekannt – und will grellbunt nun die Welt der Fifty Shades of Grey, der 50 Grautöne, aufmischen, jene geheimen und dunklen Orte, in denen man beim Fesseln und Peitschen bevorzugt Schwarz oder Rot trägt. Wie kam er dazu, nach T-Shirts und Bomberjacken eine BDSM-Kollektion zu entwerfen? BDSM steht für Bondage, Dominance, Sadism und Masochism. Um sexuelle Vorlieben rund um Unterwerfung, Bestrafung, Schmerz oder Festbinden geht es.

„Die Qualität aus Fernost war zu schlecht“

Wenn es stimmt, was in Studien steht, hat jeder sechste Deutsche einen Fetisch, spürt in Materialien wie Latex oder Leder Lust. Sadino ist zum Hersteller von Fixiergürteln, Fussfesseln, Halsbändern, sogenannten Doggyhandels etc. geworden, weil er schlechte Erfahrungen mit derartigen Produkten aus Fernost gemacht hat. „Die Qualität war schlecht“, sagt er.

Im vergangenen Herbst hat der 34-Jährige mit seiner Fetischkollektion begonnen. So gut läuft das BDSM-Geschäft, dass er inzwischen sieben Mitarbeiter in der Produktion beschäftigt. Sein Leder ist „ökologiegerecht gegerbt“. Im Online-Sortiment sind etwa Doppelkarabiner aus Edelstahl, Augenbinden aus Lammfell, metallene und bunte Fixiergürtel, die mit Haken für Ketten und Seile versehen sind.

Sind Fetisch- und Fesselfans krank? In der Sexualforschung hat sich die Haltung geändert. Mittlerweile herrscht die Meinung vor, dass Fetisch eine Spielart ist, die zu respektieren sei wie andere Bedürfnisse, solange diese nicht anderen schaden.

Zu den Ausstellern gehört das Friedrichsbau Varieté

Schon auf fünf Messen hat Sadino ausgestellt. „Ich steh’ offen dazu, sagt er, „nicht wenige führen ein Doppelleben.“ Quer durch alle Generationen und gesellschaftlichen Gruppen sei diese Leidenschaft ausgeprägt. Der 34-Jährige kennt sich aus in einer freizügigen Szene, die gern in Fetischkleidung feiert. „Sex hatte ich bei so einer Party noch nie“, sagt er, „aber es stört mich nicht, wenn es andere tun – die Energie und Atmosphäre dort sind was Besonderes.“ Manch eine der herkömmlichen Sexmessen fand er nicht so cool, weil dort meist Herren mit Kamera unterwegs sind, um nackte Frauen abzulichten. Umso mehr freut er sich auf die Obscene, die Wert auf Handwerk und Kunst im Erotikgeschäft legt. In diesem Bereich hat sich in Stuttgart eine aktive Szene entwickelt. Das biedere Image der Kesselstadt hat Risse bekommen. Auch der Friedrichsbau, eine führende Burlesque-Bühne, zählt zu den Ausstellern.

„Die Zeit des Kopfkinos ist im Kommen“

Außerdem dabei: die Erotik-Boutique Frau Blum.. „Die Zeit des Kopfkinos ist im Kommen“, sagt Geschäftsführerin Mascha Hülsewig. Die Corona-Angst sollte nicht nur zu Hamsterkäufen bei Klopapier und Pasta führen, findet sie. Auch mit Sex-Toys sollte man sich eindecken, sagt sie augenzwinkernd, falls man für längere Zeit daheim bleiben müsse. Wie heilsam ist Eigenliebe als Anti-Corona-Therapie? Oder sollte man jetzt nur noch im Latex-Ganzkörperanzug aus dem Haus?