Das Stuttgarter Theaterhaus bringt den erfolgreichen Film „Ziemlich beste Freunde“ auf die Bühne. Und kann sich durchaus mit dem Original messen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Das gehört sich eigentlich nicht. Wenn jemand im Rollstuhl sitzt, weil er bis zum Hals gelähmt ist, sagt man normalerweise nicht „Bleiben Sie sitzen, ich finde allein raus“. Oder „Helfen Sie mal mit, statt so faul rum zu liegen.“ Aber einfühlsam scheint Driss nicht zu sein. Immer einen markigen Spruch auf den Lippen, immer eine große Klappe. Eben ein richtig cooler Typ: Ohrring, Sonnenbrille und ständig auf Brautschau. Deshalb fällt Driss auch nur eines ein, als er den gelähmten Philippe trifft: „Muss echt beschissen sein.“

 

Ist ausgerechnet ein Bursche wie Driss der ideale Pfleger eines Tetraplegiker? Ja – zumindest werden die beiden Männer „Ziemlich beste Freunde“, so der Titel der extrem erfolgreichen französischen Filmkomödie, die 2011 in die Kinos kam. Der Film basiert auf der Lebensgeschichte des ehemaligen Pommery Geschäftsführers Philippe Pozzo di Borgo, der beim Paragliding abstürzte und seither bis zum Hals gelähmt ist. Nun hat das Theaterhaus Stuttgart „Ziemlich beste Freunde“ auf die Bühne gebracht und eines gleich vorab: Das mutige Experiment ist gelungen. Auch diese Version von „Ziemlich beste Freunde“ wird ein großer Erfolg werden.

Dabei ist die erste Begegnung zwischen Philippe und Driss alles andere als vielversprechend. Philippe sucht einen Begleiter, eine „Lebenshilfe“. Driss kommt dagegen nur zum Vorstellungsgespräch, weil er eine Unterschrift fürs Arbeitsamt will. Mehr nicht – und schon gar nicht diesen Job. „Strümpfe ziehe ich aus Prinzip niemandem an“, sagt er, „das mach ich nicht.“

Grob zerrt Driss den armen Mann in die Badewanne

Er macht es schließlich doch, denn Philippe will keine dieser überfürsorglichen Krankenschwestern im Haus haben, sondern ausgerechnet diesen harten, schwarzen Jungen, der frisch aus dem Knast kommt. Er kann zupacken – und die ersten Minuten im Theaterhaus schwankt die Inszenierung zwischen Slapstick und Horror. Ungeschickt und grob zerrt Driss den armen Mann in die Badewanne und spritzt ihm das Shampoo in die Augen. Wie eine Puppe schleudert er den nackten Leib hin und her – so heftig, dass der Schauspieler Stephan Moos sich bei den Proben verletzte und die Premiere verschoben werden musste. Philippe aber steht die Schinderei tapfer durch. Er ist einer, der sich seine Würde bewahrt – und einfach nur vornehm trotzig schimpft: „Ich bin sehr unzufrieden. Ich sage nichts mehr.“

Es sind zwei Männer, die gegensätzlicher nicht sein könnte – und in dieser emotionsgeladenen Komödie gerade deshalb zueinander finden. „Ziemlich beste Freunde“ lebt von Klischees. Hier der reiche Weiße, dort der Schwarze aus dem Knast. Der kultivierte Schöngeist und der Prolet. Der versehrte Alte und der potente Adonis. „Die Jungs aus der Vorstadt kennen kein Mitleid“, warnt Philippes Haushälterin. Aber genau das gefällt Philippe. „Das ist, was ich will“, sagt er, „kein Mitleid“. Driss behandelt ihn nicht wie ein rohes Ei, sondern schwatzt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. „Können Sie eigentlich noch? Oder wie läuft das bei Ihnen?“

Der Regisseur hat bewegende, intensive Momente inszeniert

Stephan Moos als der gelähmte Philippe macht seine Sache brillant. Wie ein nasser Sack hängt er im Rollstuhl und lässt sich von Aron Keleta als Driss atemlos hin- und herschleppen. Die Dialoge sind an sich schon mit Pointen gespickt, aber der Regisseur Nils Daniel Finckh spitzt die Geschichte noch zur rasanten Parodie zu, sodass die Komödie wie im Flug vorbeirast. Manches mag etwas grob gezeichnet sein, und die Inszenierung lässt wenig Raum für subtile Zwischentöne. Aber Finckh hat auch bewegende, intensive Momente inszeniert, etwa wenn Driss dem Schöngeist seine Musik vorspielt und tanzt wie ein übermütiges, unbeschwertes Kind. Köstlich sind auch die Keifereien seiner Mutter (Ida Ouhé-Schmidt), eines kleinen Persönchens, das ihre beiden nicht allzu gut geratenen Söhne zusammenstaucht und erpresserisch jammert: „Ich sterbe“.

Es ist eine Geschichte, die bewegt, weil sie in vieler Hinsicht Hoffnung macht: dass man auch im Rollstuhl ein glückliches Leben führen kann, dass sich soziale Grenzen überwinden lassen und aus einem Taugenichts ein tüchtiger Kerl werden kann. Das Premierenpublikum im Theaterhaus war in jedem Fall begeistert, bejubelte die Akteure mit reichlich Szenenapplaus und euphorischem Schlussbeifall, wie man es selten im Sprechtheater erlebt.