Burhan Qurbani, aufgewachsen bei Stuttgart und Absolvent der Ludwigsburger Akademie, bringt seinen Diplomfilm ins Kino: "Shahada".

Kultur: Tim Schleider (schl)
Stuttgart - Eben noch bei uns im Studio, jetzt schon auf der Showbühe" - so lautet der legendäre Satz, den der TV-Showmaster Rudi Carrell vor vielen Jahren gern ausrief, wenn einer seiner ganz normalen Kandidaten plötzlich in die Rolle eines internationalen Popstars schlüpfte.

So ähnlich muss sich der 29-jährige Burhan Qurbani zu Beginn diesen Jahres gefühlt haben: Gerade saß er noch in den Seminarräumen der Ludwigsburger Filmhochschule und gab seiner Diplomarbeit den letzten Schliff - und plötzlich klingelte das Telefon und eine Stimme erzählte, der Festivalchef Dieter Kosslick habe sein Werk angeschaut, er sei in den Wettbewerb der Filmfestspiele in Berlin eingeladen, Seit an Seit mit den jüngsten Werken von internationalen Filmgrößen wie Martin Scorsese, Roman Polanski, Shah Rukh Khan, Thomas Vinterberg oder Michael Winterbottom.

"Ich wusste ja, dass die Berlinale die Filme der Hochschule für ihre Nachwuchsreihen sichtet", erzählt Qurbani ein halbes Jahr später im halbwegs coolen Rückblick. "Und natürlich spekuliert jeder Filmstudent ein bisschen auf diese große Chance. Aber als ich hörte, ,Shahada' soll gleich in die vorderste Reihe, in den Internationalen Wettbewerb, da bin ich fast ohnmächtig vom Stuhl gerutscht."

Der Film steuert keineswegs auf einfache Antworten zu


Shahada heißt das Glaubensbekenntnis der Muslime: "Es gibt keinen Gott außer Gott..." Qurbanis Film - er kommt nun kommenden Donnerstag in unsere Kinos - trägt diesen Titel, weil er von jungen Berliner Muslimen erzählt, die ihren Weg in die westliche Gesellschaft suchen. "Was heißt Islam? Was heißt es, ein guter Muslim zu sein?" fragt an einer Stelle der Imam seine kleine Kiezgemeinde. An diesen beiden Fragen müssen sich Qurbanis Figuren erproben und entwickeln. Es gehört zu den Stärken seines Films, dass er keineswegs auf einfache Antworten zusteuert.

Der deutschtürkische, bürgerlich etablierte Polizist Ismail begegnet bei einer Razzia der illegal in Berlin lebenden Bosnierin Leyla. Er kennt die Frau; ihre Wege haben sich schon einmal dramatisch gekreuzt. Der Nigerianer Samir arbeitet mit seinem besten Kumpel Daniel in einem Großmarkt. Sehr behutsam entwickelt sich zwischen ihnen eine Liebesgeschichte. Maryam, die Tochter des Imams, vollzieht an sich ohne ärztliche Hilfe eine Abtreibung. Die nachfolgenden Schmerzen und Qualen treiben die eigentlich sehr modern orientierte Frau in eine tiefe Existenzkrise.

Dies sind Qurbanis Ausgangspositionen in "Shahada". Und wer will, kann leicht den Stab über solch ein Setting brechen: typisches Problemkonstrukt, typischer Thesenfilm - typisch deutsches Diplomkino. Aber das ist ungerecht. Denn dank seiner Bildsprache, dank herausragender Darsteller und dank der dichten Atmosphäre ist "Shahada" ebenso spannend wie authentisch.

Ein Deutsch-Afghane im katholischen Dorf


"Ich wollte etwas erzählen, worüber ich erzählen kann", sagt der Regisseur. "Deswegen zeige ich Menschen, die kulturell vielschichtig sind." So wie Burhan Qurbani selbst. Seine Eltern kamen Ende der siebziger Jahre als Flüchtlinge aus dem damals sowjetisch besetzten Afghanistan nach Deutschland. Nach der Geburt zweier Söhne trennten sie sich. "Weil meine Mutter von da an mit uns allein war, wurden mein Bruder und ich in die deutsche Kultur unseres katholischen Dorfes geradezu hineingeworfen. Ich selbst konnte das Vaterunser viel früher aufsagen als die Shahada." Die kleine Schulbücherei wird zu seinem Lieblingsort. "Mit Momo von Michael Ende fing alles an, irgendwann hatte ich mich bis Sartre durchgefressen." Das gelungene Erzählen fasziniert ihn. "Mein Großvater hat mal gesagt: Wir Afghanen haben unsere Freiheit verloren, unser Land, unseren Besitz. Was wir jetzt noch haben, das ist unsere Zunge, um Geschichten zu erzählen." So kam Qurbani als junger Mann erst als Praktikant ans Stuttgarter Staatstheater und dann zum Studium an der Filmakademie in Ludwigsburg.

Und von dort schier schnurstracks auf den Roten Teppich der Berlinale. "Diese Tage waren wie ein Rausch, ein einziges Tohuwabohu." Die ersten guten Kritiken, die ersten schlechten ("und immer konnte ich meinen vollen Namen darin lesen, schrecklich"), der erste große Beifall von einigen Tausend Zuschauern bei den Publikumsvorführungen, das erste Schulterklopfen des Kulturstaatsministers Bernd Neumann. "Wie man mit alldem umgeht, das lernt man ja auf keiner Hochschule." Worüber spricht man bei einem Galadinner mit den chinesischen Kollegen? Wie unterhält man sich mit Journalisten in drei verschiedenen Sprachen? "Man ist plötzlich selbst wie in einem Film. Und gleichzeitig nagt immer der Zweifel an einem: Was, wenn das jetzt schon der Höhepunkt ist und nichts mehr nachkommt?"

Nach dem Rausch der Berlinale, das gibt Qurbani zu, ist er erst mal in ein tiefes Loch gefallen. Einer seiner frischen Bewunderer, der Regisseur Andreas Dresen, hat ihn aufgefangen - "20x Brandenburg" heißt ein Filmprojekt des Senders RBB, das Dresen leitet und in dem zwanzig Filmregisseure Geschichten aus Brandenburg erzählen; Qurbani ist einer von ihnen. "Das Honorar dafür bekomm ich nach der Ausstrahlung. Bis dahin muss Hartz 4 reichen." Da ist noch ein Spruch des Großvaters, der das Flüchtlingskind Qurbani geprägt hat. "Du und dein Bruder, ihr seid in der Welt wie Vögel ohne Beine. Ihr könnt euer Leben lang nur fliegen, nirgends landen." Mit "Shahada" wird das Kinopublikum nun erstmals Zeuge dieses großen Fluges.

Von Donnerstag an in den Kinos.