Mit seinem Spielfilm „Die Blumen von gestern“ zeigt Filmemacher Chris Kraus, dass Lachen auch im Zusammenhang mit dem Holocaust möglich ist.

Stuttgart – - Herr Kraus, darf ein deutscher Drehbuchschreiber und Regisseur mit Humor über den Holocaust erzählen, dem sechs Millionen Juden zum Opfer gefallen sind?
Früher hätte ich mir vielleicht die Frage gestellt, ob ich das kann. Ob man die zeitgenössische Gedenkkultur, die sich in 70 Jahren hierzulande eigentlich nicht verändert hat, künstlerisch aufbrechen darf. Zumal ich wie mein Protagonist, der Holcaustforscher Totila Blumen, einen Nazi-Opa hatte. Doch in vielen Recherchen über meine Familiengeschichte habe ich erlebt, dass Menschen mit jüdischem Hintergrund eine andere Tonart im Umgang mit diesem Thema haben. Sie begegnen mir sehr direkt, zupackend, erzählen politisch unkorrekte Witze, ohne das faktische Wissen zu verdrängen. Ich fragte mich, warum wir, die Deutschen, nicht auch komisch sein können. In den Täterfamilien wurde soviel weggelogen, verdrängt, soviel Unbewältigtes im Überwältigenden belassen. Dieser Absurdität konnte ich in der Arbeit zum Film dann nur respektlos begegnen.
Ein Babyfoto von Adolf Hitler wird als Foto eines Auschwitz -Überlebenden identifiziert. Sie amüsieren das Publikum mit absurden Situationen. Welchen Anteil an der humorigen Kraft des Films haben die Schauspieler?
Lars Eidinger spielt Totila Blumen ungemein expressiv, er gibt überzeugend den Misanthropen, füllt die Rolle aus mit eigener Lebenserfahrung wie alles, was er spielt, gleich ob auf der Bühne oder im Film. Wenn wir ehrlich sind, liegt doch in jedem Leben Tragisches und Komisches eng beieinander, in seiner Figur ganz besonders. Das bringt auch die französische Schauspielerin Adèle Haenel wunderbar über die Leinwand. Sie konnte kaum ein Wort deutsch, als sie unser Angebot annahm, hat aber dann nach nur sechs Monaten intensiven Sprachunterrichts in ihrer Heimat Paris am Goethe-Institut Dresden die Sprachprüfung für Fortgeschrittene abgelegt. Eine unglaubliche Leistung. Nicht zu vergessen Sigrid Marquardt in der Rolle einer so genannten Zeitzeugin. Sigrid erfuhr kurz vor Fertigstellung des Films, dass sie nicht mehr lange zu leben hat. Wir hatten eine Vorführung in ihrem Krankenzimmer schon vorbereitet, denn sie wollte unbedingt diesen Film sehen. Aber wenige Tage zuvor starb sie, und so konnte sie sich nicht mehr an ihrem liebenswürdig-bissigen Spiel erfreuen. Es war eine sehr traurige Situation.
Zazie, die französische Praktikantin, nähert sich frech und von ihrer weiblichen Ausstrahlung höchst überzeugt dem deutschen Forscher Totila Blumen. Doch mitten in der Geschichte gibt es einen Bruch und der Ton wechselt von der Leichtigkeit der Komödie zum Melodram.
Ich möchte nicht zuviel verraten, aber der Tod, der bis zu dieser Szene im Hintergrund stand, wird ab diesem Moment sehr konkret. Zazie ist nicht mehr nur die meschuggene Jüdin, es kommt ein neuer Akkord dazu.
Filme zum Thema Shoah werden von den jüdischen Gemeinschaften mit kritischer Aufmerksamkeit bedacht. Haben Sie schon Reaktionen bekommen?
Wir haben Sequenzen, aber auch den fertig produzierten Streifen in der Israelitischen Kultusgemeinde Wien gezeigt. Es kamen positive Reaktionen.
Sie sagen, die neue Tonart ihres Films beim Thema Holocaust habe potentielle Förderer verschreckt. Nicht verschreckt hat es offenbar die MFG-Filmförderung Baden-Württemberg?
Der SWR und die MfG standen wie eine Eins hinter dem Projekt. Es war von dieser Seite unbedingt gewünscht, ein solches Risiko zu gehen. Viele Szenen wurden in Stuttgart und Umgebung gedreht, andere in Berlin, Wien und New York. Produzenten von „Die Blumen von gestern“ sind der Österreicher Danny Krausz und Kathrin Lemme, mit der ich unsere gemeinsame Firma führe. Wer diesen Film ansehen will, sollte wissen: Er ist keine Klage über die Verbrecher und ihre Verbrechen geworden. Sondern eine Ode an die Gestörten und ihre Störungen. Wir leben in einer Zeit, in der man dem rechten Wahnsinn die Stirn mit allen Mitteln bieten muss. Warum nicht mit den Mitteln archaischer Fröhlichkeit?