Tanzen auf der Berlinale außer Konkurrenz und unter Ausschluss der Öffentlichkeit: Luise Aschenbrenner und Jannik Schümann in „Disko 76“ Foto: RTL
Ist das Goldene Zeitalter der TV-Serien vorbei? Wenn’s nach Claudia Roth geht: Ja! Die „Berlinale Series“-Reihe wurde nach Budgetkürzungen eingestampft. Drei Serien verstecken sich 2024 trotzdem im Programm der Filmfestspiele – mit dabei auch ein Pornostar.
Bochum im Jahr 1976 ist ein trister, in den 1950ern stecken gebliebener Ort. Die Kindergärtnerin Doro etwa verliert ihren Job, als ihr Ehemann ihr die Erlaubnis entzieht, arbeiten zu gehen. Doch dann wird sie von der Discowelle mitgerissen, erfindet sich zwischen Boney M., Gloria Gaynor und Donna Summer neu. „Disko 76“ ist die Ruhrpott-Version von „Saturday Night Fever“, erzählt von dem Ausbrechen aus dem spießig-trostlosen Alltag in die Glitzerwelt unter der Discokugel. Der Sechsteiler, der ab 28. März bei RTL+ auf Abruf zur Verfügung steht, ist ein hübsch erzähltes TV-Ereignis, eine Lovestory im Seventies-Zeitgeist-Kolorit mit grandiosem Soundtrack und einer wunderbaren Luise Aschenbrenner, die sich als Doro von der grauen Maus zur Discoqueen verwandelt.
Schonkost für Serienfans
Luise Aschenbrenner und Jannik Schümann in „Disko 76“ Foto: RTL/Florian Kolmer
Doch genug geschwärmt. Denn „Disko 76“ ist zwar auf der Berlinale vertreten, aber nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Sechsteiler findet sich nicht im offiziellen Programm, sondern wird nur bei sogenannten Market Screenings gezeigt. Diese sind weder fürs allgemeine Publikum noch für die Presse zugänglich, sondern richten sich an potenzielle Käufer, die die Rechte von Filmen und Serien für die Ausstrahlung in anderen Ländern erwerben wollen.
Wer nicht das Glück hat bei Netflix, dem BBC oder einem anderen Sender oder Streamingdienst im Einkauf zu arbeiten, bekommt auf der Berlinale Serien wie „Disko 76“ nicht zu sehen. Das eigentliche Programm scheint es darauf anzulegen, Serienjunkies zu vergraulen.
„Berlinale Series“ und „Perspektive Deutsches Kino“ eingestampft
Im vergangenen Jahr konnte man nach den Internationalen Filmfestspielen in Berlin noch guten Gewissens die Überschrift „Die Berlinale hat ein Herz für Serien“ schreiben. 2024 sieht das ganz anders aus. Claudia Roths Sparplänen ist neben der ebenfalls schwer vermissten Reihe „Perspektive Deutsches Kino“ auch „Berlinale Series“ zum Opfer gefallen. Mit der Reihe, die Julia Fidel verantwortete, wurde auch der Serienwettbewerb, der 2023 erstmals stattfand, gleich wieder eingestampft. Kaum hatte man sich darüber gefreut, dass die Berlinale als erstes der A-Festivals auf geänderte Sehgewohnheiten reagiert und neben Kinofilmen auch TV-Serien einen festen Platz im Programm einräumt, ist der kurze Berliner Serientraum auch schon wieder vorbei.
Lavinia Wilson in „Zeit Verbrechen: Deine Brüder“ Foto: Paramount+
Nur drei Serien haben es ins offizielle Berlinale-Programm geschafft. In der Reihe „Berlinale Special“ finden sich die italienischen Produktionen „Dostojewski“ und „Supersex“. Im „Panorama“ läuft die vierteilige deutsche Serie „Zeit Verbrechen“ (Paramount+). Diese ist zwar sehenswert und hat Stars wie Sandra Hüller oder Lars Eidinger zu bieten. Doch letztlich handelt es sich dabei um keine Serie, sondern eine True-Crime-Reihe, die in vier ganz unterschiedlichen einstündigen Filmen, fiktionalisierte Fälle nacherzählt, die im „Zeit Verbrechen“-Podcast der Wochenzeitung „Die Zeit“ behandelt wurden.
Was bleibt, sind also zwei Serien aus Italien. „Dostojewski“ (Sky) versucht, mit zermürbender Langatmigkeit „True Detective“ nachzueifern, spielt im trostlosen italienischen Niemandsland, erzählt von einem Serienkiller, der scheinbar willkürlich Menschen bestialisch ermordet, und einem Polizisten, dem man gerne auch mal bei der Darmspiegelung zuschauen darf.
Das ist allerdings noch viel erträglicher mitanzusehen als die Netflix-Serie „Supersex“, in der sich der italienische Pornodarsteller Rocco Siffredi selbst ein Denkmal setzt. Alle Frauen (außer seiner heiligen Mutter natürlich) sind hier allzeit willige Lustobjekte, und Siffredi wird abstrus zu einer Art Sexgott stilisiert, der sich aufopfern muss, sie alle zu beglücken.