Halbzeit in Venedig: Das Filmfestival bietet wunderbar Unaufgeregtes aus Japan, einen typischen Woody Allen und Sofia Coppolas Biopic „Priscilla“.

Priscilla Presley auf dem roten Teppich eines Filmfestivals? Das gab es doch gerade erst! Wenig mehr als ein Jahr ist es her, dass die Ex-Frau des King of Rock ’n’ Roll in Cannes war, um die Premiere des später Oscar-nominierten Film „Elvis“ von Baz Luhrmann zu feiern. Nun gab sich die 78-jährige in Venedig die Ehre, wieder für einen biografischen Film, in dem ihr eigenes Leben Thema ist. Nur mit dem Unterschied, dass es in Sofia Coppolas „Priscilla“ – der Titel deutet es an – tatsächlich um ihre Perspektive geht.

 

Der Blickwinkel ist neu – die Geschichte nicht

Die Geschichte also ist nicht unbedingt neu, der Blickwinkel durchaus. Den Nachlassverwaltern des Sängers gefällt das wenig, wie dieser Tage zu lesen ist. Von den fragwürdigen Anfängen der Beziehung zum zehn Jahre älteren Elvis (Jacob Elordi, nicht unbedingt die idealste Besetzung), die Priscilla (Cailee Spaeny) bereits als 14-Jährige noch während seiner Zeit in Deutschland begann, über all die Medikamente und Drogen, die er bald nicht mehr nur alleine nahm, bis hin zu der Tatsache, dass er seiner Partnerin nicht nur eigene berufliche Ambitionen verbat, sondern selbst Haarfarbe oder die Muster ihrer Kleider vorschrieb – der strahlende Held ist Presley hier wirklich nicht.

Verzicht auf Glitz und Glamour

Doch Coppola hat alles andere als einen einseitigen Film gedreht. Auf alles, was im vergangenen Jahr in „Elvis“ im Fokus stand, verzichtet sie, von Glitz und Glamour über hinlänglich bekannte Anekdoten bis hin zu Presleys Musik, die hier (auch aus rechtlichen Gründen) keine Rolle spielt. Die Wahrnehmung der Beziehung ist, basierend auf ihrer 1985 erschienenen Autobiografie, ausschließlich Priscillas. In vielen kurzen, nie auf tiefschürfende psychologische Erkenntnis setzenden Momenten zeichnet sie das Bild tiefer Einsamkeit. Und zwar nicht nur ihrer passiv agierenden Protagonistin, sondern auch ihres Mannes.

Ein zartes, fast poetisches Werk aus Japan

Am gleichen Tag zeigte mit Ryūsuke Hamaguchi ein weiterer Oscargewinner seinen neuesten Film. „Evil Does Not Exist“, der Nachfolger seines Überraschungserfolgs „Drive My Car“, ist ein zartes, fast poetisches Werk, das seinen Ursprung in einer Videoinstallation für die Komponistin Eiko Ishibashi nahm. In einer ländlichen, naturverbundenen Kommune in Japan sehen wir einen verwitweten Vater minutenlang beim Holzhacken, der örtliche Udon-Laden kocht mit selbst geschöpftem Wasser aus einer lokalen Quelle, und der Fund von wildem Wasabi zählt hier schon als Ereignis. Bis eine Agentur aus Tokio die Anwohner mit Plänen für einen Luxuscampingplatz konfrontiert und auf reichlich Widerstand stößt. Eine wunderbar ruhig gefilmte, unaufgeregte, von eindrücklicher Musik begleitete Geschichte, die ganz am Schluss unvermutet eine düstere Wendung nimmt.

Auch in Woody Allens „Coup de Chance“ kippt irgendwann der Tonfall: Was als plaudrige Seitensprung-Komödie beginnt, wird schließlich zu einem abgründigen Thrillerdrama. So etwas kennt man von dem Amerikaner aus „Match Point“ und anderen Filmen, und auch sonst ist wieder alles typisch Allen. Die Übertragung seiner unverwechselbaren Handschrift ins Französische klappt erstaunlich gut, das Ensemble ist gut besetzt, und die sonnendurchfluteten Bilder sehen fantastisch aus. Die übermäßige Begeisterung, die in Venedig allein das Erscheinen seines Namens auf der Leinwand auslöste, war dann doch zu viel des Guten. Aber ohne Frage lauter als die Protestrufe abends am roten Teppich, wo zumindest einige Aktivisten ihren Unmut darüber kundtaten, dass das Festival in diesem Jahr mit Allen, Roman Polanski und Luc Besson gleich mehreren Regisseuren eine Plattform bietet, gegen die verschiedenste Vorwürfe sexueller Gewalt im Raum stehen.