Viel zu selten werden die sehr intelligenten und sehr kaltschnäuzigen Thriller von Patricia Highsmith angemessen verfilmt. Nun aber hat es mal wieder geklappt: der Regisseur Hossein Amini führt uns in eine elegante Welt der Fiesheiten.

Stuttgart - Athen im Jahr 1962. Das klare Licht des Südens. Blauer Himmel, weißer Marmor. Der junge Amerikaner Rydal Keener (Oscar Isaac) führt eine Gruppe von Landsleuten durch die Akropolis, erzählt von den „grausamen Streichen, welche die Götter den Menschen spielen“, genießt die bewundernden Blicke seiner Zuhörer. Dies sind die Tage des kultivierten Tourismus, der eleganten Kleider, des teuren Schmucks, der stilvollen Sonnenbrillen. Die mediterrane Welt ist noch kein Aufmarschort für zerschlissene T-Shirts und Badeschlappen, sondern exklusive Bühne für Luxus, Mode und Geld.

 

Aber der Schein trügt. Der ehemalige Harvardstudent Rydal ist nicht ganz freiwillig hier. Er hat sich mit seinem kalten und strengen Vater überworfen, ist nicht mal zu dessen Beerdigung zurückgekehrt und hält sich nun als Tourguide über Wasser, der auch mal seine Kunden beschwindelt.

Plötzlich steht ein Detektiv im Raum

Und das glamouröse Paar vom Grand Hotel, das er so fasziniert beobachtet? Rydal sucht den Kontakt mit diesem selbstsicher wirkenden Chester MacFarland (Viggo Mortensen), einem Mann um die fünfzig im cremefarbenen Anzug und mit Hut, und mit dessen viel jüngerer blonder Frau Colette (Kirsten Dunst), strahlend schulterfrei in hellem Stoff.

Nein, Chester entpuppt sich nicht als kleiner Schwindler, sondern als Großbetrüger auf der Flucht. Plötzlich steht ein Detektiv in seinem Zimmer, es könnte alles aus sein! Und so erzählt zum Beispiel der Autor Peter Handke jene Szene aus der Romanvorlage nach, mit der eine Kette fataler Ereignisse beginnt: „In den ,Zwei Gesichtern des Januars‘ trifft der junge Amerikaner Rydal Keener in einem Hotelflur auf einen Mann, der einen Toten hinter sich herschleift. Ohne zu überlegen, fasst er den Leichnam unter den Schultern und trägt ihn mit dem Mann in einen Lagerraum . . .“

Das Ungeheuerliche der Frau Highsmith

Diese Sätze stehen in Handkes Essay „Die privaten Weltkriege der Patricia Highsmith“, und er korrigiert sich sofort selbst: „,Ohne zu überlegen‘ – das steht nicht bei der Highsmith. Ihr wäre so ein Nebensatz ein überflüssiger Kommentar.“ Als „einleuchtend geheimnisvoll“ preist Handke die Charaktere dieser Schriftstellerin, und Graham Greene schrieb, ihm kämen nach der Lektüre die Figuren anderer Autoren viel zu rational vor und so „flach wie mathematische Symbole“. Das Irrationale aber, etwa das beinahe wortlose Zupacken Rydals bei Chesters Leichentransport, wirkt durch das sachlich-kaltblütige Erzählen sehr plausibel, ohne seine Ungeheuerlichkeit zu verlieren.

Männer wie Rydal oder Chester sind heimat- und haltlos, sie haben vielleicht ästhetische Koordinaten entwickelt, aber keine moralischen, sie spielen auch nicht nur mit ihren Identitäten, sie sind sich tatsächlich selber fremd. Da bricht dann manchmal etwas aus ihnen heraus, über das sie keine Kontrolle haben.

Eifersucht und andere gute Gründe

In Hossein Aminis Verfilmung wird dieses Unerklärliche, dieser skandalöse Riss in der Welt allerdings ein wenig kleiner. Die Protagonisten sind mit mehr Psychologie ausgestattet als in der Vorlage, ihre Handlungen behalten zwar einen Rest an Irrationalität und Geheimnis, erscheinen insgesamt aber als „begründeter“.

Rydal hat sich in Colette verliebt, er besorgt dem Paar gefälschte Pässe und reist selber mit den beiden nach Kreta. Drei verfolgte Menschen, die sich nicht über den Weg trauen. Colette streitet mit Chester, flirtet mit Rydal, sucht vielleicht ein Abenteuer. Eine Dreiecksgeschichte zeichnet sich ab. Rivalität, Neid, Eifersucht.

Der virile Chester, aus der Unterschicht stammend und Kriegsveteran, ist zunächst der Stärkere der beiden Männer, verliert dann seine Überlegenheit, seine Coolness, seine Fassung. Rydal emanzipiert sich, gewinnt an Statur, zündet sich mal eine Zigarette mit Chesters Feuerzeug und vor allem im Stil des von ihm lange als Ersatzvater bewunderten Mannes an. Einmal müssen sich die beiden, um der Entdeckung durch die Polizei zu entgehen, tatsächlich als Vater und Sohn ausgeben. So wird Colette immer mehr zur Randfigur.

Viel Nostalgie, viel altes Europa

Hossein Amini ist mit den „Zwei Gesichtern des Januars“ ein brillant gespielter und atmosphärisch dichter Thriller gelungen, der den Vergleich mit Anthony Minghellas 1999 entstandener Highsmith-Adaption „Der talentierte Mister Ripley“ nicht scheuen muss. Mit seiner klassischen Erzählweise, bei der Charaktere die Handlung bestimmen und nicht umgekehrt, ist sein Film auch als Hommage an das Kino seiner Handlungszeit zu verstehen. Anders gesagt: viel mehr Hitchcock als „Bourne“-Verschwörung.

Und ganz viel Nostalgie und altes Europa, vom Lederkoffer über Sonnenterrassen bis hin zum Geräusch, das beim Klopfen von Tintenfischen entsteht! Der Regisseur greift dabei auch auf die griechische Mythologie zurück. In einer zentralen Sequenz stolpern seine Outcasts durch die Ruinen von Knossos und tauchen hinab ins dunkle Labyrinth. Ein Tragödienort – und nicht alle werden wieder aus ihm auftauchen.

Die zwei Gesichter des Januars. USA, Großbritannien, Frankreich, 2014. Regie: Hossein Amini. Mit Viggo Mortensen, Kirsten Dunst, Oscar Isaac. 96 Minuten. Ab 12 Jahren.