„Mensch,Bio!“: Der ehemalige Moderator wird im Juli achtzig. Sandra Maischberger hat ihn mit der Kamera besucht.

Stuttgart - In diesem Film soll es um den Menschen gehen“, sagt Sandra Maischberger. Und schon klingelt sie an Alfred Bioleks Tür. Es gibt ein großes Hallo, Frau Maischberger ruft „Überraschung“, was natürlich ein Scherz ist. Bald darauf sitzt man an Bioleks Tisch in seiner Kölner Wohnung und duzt sich. Alles klar: hier treffen sich zwei befreundete Fernsehprominente. Die eine dreht einen Film über den anderen und verspricht neue, private Einblicke. Das ist normalerweise ein Grund, den Sender zu wechseln.

 

Doch dann flimmern Super-8-Bilder aus den 1930er Jahren über den Bildschirm. Der kleine Alfred mit Lockenkopf, der mit seiner Mutter tobt. Fröhliche Szenen von seiner Kindheit in Mähren. „Ein Paradies“, bestätigt Biolek, Sandra Maischberger spricht aus dem Off vom „Trauma der Vertreibung“. Näheres am Ende des Films. Nun aber erst mal nach New York, wo Biolek 1951 das erste Mal als Sechzehnjähriger im Rahmen eines Schüleraustauschs war. Und wo er in den 1980ern seinen ersten langjährigen Lebensgefährten kennenlernte: Keith, mit dem er zehn Jahre zusammen war und der nun sein Adoptivsohn ist. Beide schlendern untergehakt durch das schwule New York. „Alle waren schockiert: Ich war 19, er war 49. Ein Skandal“, sagt Keith in perfektem Deutsch. Man erfährt, dass Biolek charmant und romantisch war und dass er den anonymen Sex in den Dark Rooms einschlägiger Bars lieber mied.

Am 10. Juli wird der ehemalige Moderator und Entertainer achtzig Jahre alt. 2006 beendete er seine lange Fernsehkarriere, und ums Fernsehen geht es in diesem Film natürlich auch. Beginnend bei putzigen Schwarz-Weiß-Filmchen mit Biolek als ZDF-Reporter, der „Tipps für Autofahrer“ gab oder für die „Drehscheibe“ Alarmanlagen in Kaufhäusern testete. Sehr schön die auf Deutsch gedrehten Monty-Python-Sketche: Biolek hatte die britischen Komiker nach Deutschland geholt. Er produzierte „Am laufenden Band“, doch es drängte ihn selbst auf die Bühne. Mit „Bios Bahnhof“ schuf er einen Unterhaltungsklassiker, bei „Boulevard Bio“ empfing er mehr als zweitausend Gäste, und bei „Alfredissimo“ verschmolz seine private Leidenschaft endgültig mit dem Geschehen auf dem Bildschirm: Freunde treffen, gemeinsam kochen, reden. „Er möchte nicht gerne alleine sein“, sagt seine Freundin Renate Gruber, was einem als zentraler Satz im Gedächtnis bleibt.

Irgendwann steht Alice Schwarzer in Bioleks Tür

Heute ist Alfred Biolek nach den schweren Verletzungen, die er sich bei einem Sturz auf einer Treppe vor vier Jahren zuzog, etwas wacklig auf den Beinen. In der Rehaklinik haben die Therapeuten angeblich sein Gedächtnis wieder auf Trab gebracht, indem sie mit ihm gemeinsam kochten. Jedenfalls erzählt man sich das unter Freunden und in der Familie so. Bioleks Schwägerin und seine Nichte kommen zu Wort, als einziger Prominenter gibt hier der befreundete Chansonnier Tim Fischer ein Interview. Und irgendwann steht auch die ebenfalls befreundete Alice Schwarzer in Bioleks Tür (da hätte Sandra Maischberger mal „Überraschung“ rufen können). Es wird ein bisschen gezwungen ungezwungen geplaudert. Und nun wissen wir, dass an der missratenen Schwarzer-Mayonnaise bei „Alfredissimo“ die Scheinwerfer schuld waren und dass an Bios Kühlschrank ein großes Foto von der jungen Alice hängt.

Mal abgesehen von diesem angestrengt wirkenden Privattreffen bietet das Porträt von Maischberger und dem Co-Autor Hendrik Fritzler eine entspannte, von unaufdringlicher Sympathie getragene Reise durch Bios Leben. Seine „offen, nicht  öffentlich gelebte“ Homosexualität, so Maischberger, auch das unfreiwillige Outing durch Rosa von Praunheim 1991, spielt ganz selbstverständlich eine Rolle, ohne dass es einen unangenehm intimen Beigeschmack bekäme.

Biolek reist für den Film noch einmal zu verschiedenen Stationen, nach New York, ins schwäbische Waiblingen, wohin es die Familie nach der Vertreibung 1946 verschlug. Auch nach Berlin, wohin Biolek nach dem Ende der Fernsehkarriere vorübergehend zog, um „in kürzester Zeit einer der besten und begehrtesten Gastgeber Berlins“ zu werden, wie Sandra Maischberger begeistert kommentiert. Biolek, der perfekte Gastgeber, der sich gerne mit Menschen umgibt, das glaubt man sofort. Eher unwillig, heißt es, sei er dagegen im Schlepptau des Maischberger-Teams nach Tschechien gereist. Adoptivsohn Keith ist mit dabei, als er das erste Mal seit fast siebzig Jahren wieder seinen Heimatort Frystat, damals Freistadt, heute ein Stadtteil von Karvina, besucht. Eine zentrale Aussage des Films über den „Menschen“ Biolek lautet: Er blickt nicht gerne zurück, er verdrängt am liebsten negative Erlebnisse.

Material zum Verdrängen gibt es genug

Die Vertreibung aus dem Kindheitsparadies – die Verhaftung des Vaters; die Angst um die Mutter, als „die Russen“ (Biolek) kamen; der achtmonatige Aufenthalt in einem Lager; die Deportation in einem Viehwaggon in den Westen – präsentiert uns die Autorin nun als Ursprung. Das mag journalistische Küchenpsychologie sein, aber weit hergeholt erscheint es nicht. Auch der Vergangenheit des Vaters, der für die nazitreue Sudetendeutsche Partei kandidiert hatte, geht sie auf den Grund. Statt der fröhlichen Familienbilder zeigen die Super-8-Aufnahmen nun Aufmärsche von Männern mit Hakenkreuzbinden am Arm. Material zum Verdrängen gibt es genug.

Biolek wirkt bei dieser Spurensuche irgendwie unbeteiligt. Bis er sein altes Elternhaus betritt und dort einen Kindergarten vorfindet. In seinem ehemaligen Zimmer liegt ein Dutzend Kinder auf einer Matratzenlandschaft und hält selig ein Mittagsschläfchen. Man flüstert, niemand ruft glücklicherweise „Überraschung“, und Alfred Biolek sagt: „Jetzt freue ich mich sogar, dass ich das besucht habe.“

ARD,
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