Die Traumfabrik vor den Toren Berlins feiert Jubiläum – und große Erfolge. Aber ohne Glück und hohe Förderung hätten die Filmateliers nicht überlebt.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Tom Hanks, Halle Berry, Clive Owen, Matt Damon, Kate Winslet – das sind nur einige Filmstars, die in Babelsberg schon vor der Kamera standen. Gerade wurde im Hollywood an der Havel, das am Sonntag hundert Jahre alt wird, mit dem 100-Millionen-Dollar-Film „Wolkenatlas“ der bisher teuerste deutsche Film überhaupt abgedreht. „Happy Birthday, Studio Babelsberg!“ Mit einer Sonderreihe gratulieren die Berliner Filmfestspiele der Traumfabrik vor den Toren der Hauptstadt in Potsdam-Babelsberg zum runden Geburtstag.

 

Zehn Filme aus zehn Jahrzehnten lässt Berlinale-Chef Dieter Kosslick nochmals vor großem Publikum zeigen, um den Mythos Babelsberg mit den ältesten Filmstudios der Welt zu ehren, darunter Klassiker wie „Der blaue Engel“, „Die Mörder sind unter uns“ und „Der Pianist“. „Die Studios haben Filmgeschichte geschrieben“, schwärmt Kosslick. Nach turbulenten Jahren sind sie wieder gut im Geschäft. Auf der Berlinale, im Kino und sogar bei Oscarverleihungen feiern Produktionen aus Babelsberg große Erfolge. Kinohits wie der „Der Vorleser“, „Die Fälscher“ und „Der Ghostwriter“ erhielten begehrte Preise.

Mit der Verleihung einer Berlinale-Kamera wird Kosslick am 12. Februar beim großen Festakt in der Marlene-Dietrich-Halle die Verdienste des Studios würdigen. Für die beiden Eigentümer Carl Woebcken und Christoph Fisser wird die Jubiläumsfeier ein ganz besonderer Moment. „Die Prognosen waren ziemlich düster, als wir hier antraten“, erinnert sich Woebcken. Düster – das ist milde ausgedrückt. Massive Kritik schlug dem Münchner Duo entgegen, als es vor sieben Jahren den Neuanfang in Babelsberg wagte. Tenor: das ist der Anfang vom Ende.

Das Filmgeschäft ist unerbittlich

Heute müssen sich alle Kritiker korrigieren: Tatsächlich schaffte die Traumfabrik eine filmreife Wiederauferstehung. Bevor die neuen Eigner kamen, stand die Kinofilmproduktion vor dem Aus. Der Medienkonzern Vivendi hatte nach dem Mauerfall ein Jahrzehnt lang vergeblich versucht, den alten Glanz wiederherzustellen. Die Franzosen hatten die einstigen DDR-Studios von der Treuhand übernommen und das riesige Gelände umstrukturiert. 250 Millionen Euro wurden investiert, 140 Firmen angesiedelt. Der RBB und die Filmhochschule bekamen neue Domizile, die Produktion von TV-Serien sicherte die Auslastung der Studios. Mit Kinofilmen jedoch hatte Vivendi keinen Erfolg; 14 Geschäftsführer wurden dabei verschlissen. Schließlich brachte Missmanagement die Mutter in Schieflage. Auch den Studios drohte der Untergang – bis die Retter aus München kamen.

„Die Grundlagen für den heutigen Erfolg hat damals Vivendi gelegt, die Studios modernisiert und einige gute Referenzen geschaffen“, erinnert sich Woebcken. Mit dem Oscar-gekrönten Drama „Der Pianist“ und dem Kriegsfilm, „Duell – Enemy at the Gates“ hatte Babelsberg bewiesen, dass man auch nach dem Umbruch noch Großproduktionen stemmen konnte. „Das hat uns sehr geholfen“, sagt Woebcken. Der 55-jährige Studiochef war kein Neuling im Filmgeschäft, als er mit dem Immobilienexperten Fisser entschied, das Risiko Babelsberg zu wagen. Als Unternehmensberater und Finanzchef der Produktionsfirma TV Loonland konnte er einschätzen, auf was er sich einließ. Ihm war klar: vom Mythos allein kann kein Filmstudio leben.

Wenn Woebcken zum Jubiläum Bilanz zieht, verfällt er keineswegs in Schönfärberei. Hinter den glitzernden Kulissen ist das Filmgeschäft unerbittlich. Weltweit wird mit harten Bandagen gekämpft um lukrative Großproduktionen, deren Budgets immer öfter Hunderte von Millionen Dollar betragen. Man lockt mit Fördergeld, Steuervorteilen und Koppelgeschäften, um die Drehs zu bekommen, denn Studien zeigen, dass sich der Aufwand lohnt. „Jeder Euro Förderung einer Filmproduktion erzeugt das Zwei- bis Dreifache an zusätzlichen Ausgaben und das Sechsfache an Wertschöpfung“, zitiert Woebcken Untersuchungen. Die regionalen Effekte von Großproduktionen schätzt er sogar auf das 15- bis 18-Fache der Förderung.

Deutscher Filmförderfonds sicherte Überleben

Weil Filmdrehs Prestige, Umsätze und Jobs bringen, entstehen weltweit immer mehr Studios. Ungarn hat die Kapazitäten verdoppelt, auch in Frankreich werden bei Paris neue Ateliers gebaut. Die Neubauten werden staatlich oft massiv gefördert, obwohl es schon jetzt große Überkapazitäten gibt. Wer bei so viel Konkurrenz ein oder zwei große Projekte pro Jahr gewinnt, kann sich glücklich schätzen. Zumindest die Auslastung ist dann gesichert, der Gewinn aber keineswegs. „Immerhin in drei von sieben Jahren konnten wir eine Dividende zahlen“, bilanziert Woebcken. Kurz nach der Übernahme brachte er die Studio Babelsberg AG an die Börse, mit seinem Kompagnon hält er aber weiterhin die deutliche Aktienmehrheit von rund zwei Dritteln.

„Nicht alle Jahre liefen wirklich toll“, räumt der Studiochef ein. 2010 habe man aber operativ zumindest „eine schwarze Null“ geschafft. Dazu trug auch ein massiver Personalabbau bei. Das Unternehmen beschäftigt nur noch 90 Festangestellte, bei der Übernahme waren es 250; zu DDR-Zeiten haben hier sogar 2500 Menschen gearbeitet. Gleichzeitig aber hat Woebcken die Zahl der Studios mittels Anmietungen auf 25 erhöht und die Studiofläche auf 30 000 Quadratmeter verdoppelt. Anders als in den Vereinigten Staaten, wo die großen Filmstudios wie Warner Brothers riesige integrierte Medienkonzerne sind, arbeiten viele Ateliers in Europa als reine Dienstleister. Das gilt auch für Babelsberg.

Zu Ufa- und Defa-Zeiten beschäftigte die Filmfabrik ein Heer von Filmexperten und Technikern. Heute stellt das Unternehmen nur noch Hallen, Ausstattung, Technik und Logistik bereit, die Produzenten und Regisseure für ihre Arbeit benötigen. Von Projekt zu Projekt wird dann ein Team freiberuflicher Fachleute und Helfer befristet angeheuert. Mit der Auswahl, Finanzierung, Förderung, Besetzung oder Verwertung von Filmen hat das Studio nur noch zu tun, wenn es als Koproduzent einsteigt. „Das tun wir manchmal, um Projekte zu gewinnen und Leerstand in den Studios zu vermeiden“, erzählt Woebcken. Das allein jedoch hätte die Studios nicht gerettet, zumal die Finanzkraft für größere Wagnisse fehlt.

Studios in Babelsberg ziehen noch oft genug den Kürzeren

Das Überleben sicherte vor allem der Deutsche Filmförderfonds (DFFF) der Bundesregierung. Im Zuge der Reform der Filmförderung löste er 2007 die umstrittenen Medienfonds ab, die zwar hiesigen Topverdienern große Steuervorteile verschafften, aber vor allem im Ausland Filme finanzierten. Der DFFF dagegen verteilt pro Jahr 60 Millionen Euro Steuergeld nur an Filme, die überwiegend hier Wertschöpfung schaffen. Babelsberg gilt als einer der größten Nutznießer der Neuregelung. „Der DFFF hat unser Geschäft planbarer gemacht“, sagt Woebcken. „Bei Produktionen mit Budgets bis 50 Millionen Dollar sind wir nun absolut konkurrenzfähig.“ Zwar können große Filmdrehs höchstens zehn Millionen Euro aus dem DFFF erhalten. Doch auch bei der Filmförderanstalt und vielen regionalen Filmförderern der Länder gibt es Geld, wenn die Richtlinien erfüllt sind. Das macht Deutschland seit einigen Jahren auch für große Hollywoodstreifen interessanter als bisher.

Trotzdem ziehen die Studios in Babelsberg noch oft genug den Kürzeren. Bei „Casino Royal“ gaben die James-Bond-Macher den Studios in Prag den Vorzug. Bei „München“ von Steven Spielberg bekam Ungarn den Zuschlag. „Der Hobbit“, das Nachfolgeprojekt von „Herr der Ringe“, landete wegen unschlagbarer Vergünstigungen erneut in Neuseeland. Beim Kriegsfilm „300“ und den Folgen 4 und 5 von „Resident Evil“ stach Kanada mit hoher Zusatzförderung für digitale Filmarbeiten Babelsberg aus. Mit der Märchenverfilmung „Hänsel und Gretel“ von Paramount, dem Thriller „Unknown Identity“ und dem ersten deutschen 3-D-Film „Die drei Musketiere“ konnte Woebcken aber trotzdem weitere große Produktionen an die Havel holen. Für „Anonymous“, das Oscar-nominierte Shakespeare-Drama, drehte sogar Hollywoods Erfolgsregisseur Roland Emmerich erstmals wieder in der Heimat und schwärmt seither von Babelsberg. Der jüngste Coup gelang mit „Wolkenatlas“.

Solche Erfolge könnte Europas Filmindustrie öfter landen, wenn Brüssel die stark zersplitterte Förderung optimieren würde, findet Woebcken. „Wie früher müssten Koproduktionen in Europa aus mehreren Ländern Förderung bekommen können, dann würden weniger Produktionen nach Australien oder Kanada abwandern“, sagt der Studiochef. Mit der Kombiförderung holte Babelsberg zum Beispiel die Wachowskis an die Havel, die hier „V for Vendetta“ und danach gleich noch drei weitere Großproduktionen drehten. Auch Regiestar Roman Polanski verwirklichte nach „Der Pianist“ mit „Der Ghostwriter“ einen weiteren Kinohit in der Postdamer Filmstadt. Für Woebcken sind solche treuen Geschäftspartner der beste Beweis, dass man auf dem richtigen Weg ist. Um die Zukunft der Studios macht er sich keine Sorgen, solange das Fördersystem bleibt. „Auch im Zeitalter der digitalen Produktion werden reale Ateliers benötigt, sogar in größerem Umfang als bisher“, sagt der Experte.