Nun also Abschied, endgültig, amtlich. Zum letzten Mal moderiert Thomas Gottschalk am Samstag "Wetten, dass...?". An Lobreden mangelt es nicht.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Friedrichshafen - Nun also Abschied, endgültig, amtlich, vollgültig. Eigentlich feiert Thomas Gottschalk ja schon seit fast einem Jahr seinen Abschied von „Wetten, dass . . ?“ Am 18. Februar gab er ihn bekannt. Im Mai die letzte reguläre Hallenshow. Dann im Juni die letzte Urlaubs-Live-Show aus Mallorca. Dann zwei Rückblickshows. Und nun heute Abend ein, so die Ankündigung, unwiderruflich allerletzter Aufmarsch in Friedrichshafen am Bodensee, eine Show „rund um Thomas gestrickt“, wie das ZDF mitteilt, offiziell angesetzt bis 22.45 Uhr.

 

Seit fast einem Jahr begleiten auch die Medien diesen Abschied: Thomas-Gottschalk-Bilanzen zu jedem Etappenziel. Dazu eine geradezu bizarre „Wetten, dass . . ?“-Nachfolgedebatte, bei der peu à peu knapp vierzig Moderatorennamen ins Spiel katapultiert werden, von denen aber alle auch gleich gewogen und für zu leicht befunden werden. Nur einer, Hape Kerkeling, galt lange Zeit als satisfaktionsfähig. Dann die Absage. Niemand, so sind sich die Journalisten und die meisten Zuschauer seitdem einig, hat im deutschen Fernsehen das nötige Gottschalk-Format.

Eigentlich ist das alles sehr seltsam. Als wenn Thomas Gottschalk in seiner rund dreißigjährigen Fernsehkarriere der Liebling der Kritiker gewesen wäre! Gottschalk galt vielmehr auf den kritischen Medienseiten der Republik die allerlängste Zeit über als zwiespältige Figur: erfolgreich, weil oberflächlich, quotenverliebt und substanzlos. Sein Dauerlächeln? Aufgesetzt. Seine Interviews mit Prominenten? Selbstverliebt. Woher überhaupt die ganzen Prominenten in seiner Show? Hemmungslos allein deren Werbebestrebungen für neue Filme und CDs geschuldet. Gottschalks Anzüge? Geckenhaft. Seine Frisur? Therapiewürdig. Die präsentierten Wetten im Fernsehen? Lieblos abgenudelt. Die über Jahre hinweg langsam bröckelnde Einschaltquote? Ein Beweis, dass auch Gottschalks Ruhm zerrinnt.

Und plötzlich gab’s den Grimmepreis

Von all diesen Kritikpunkten ist seit Monaten nichts mehr zu hören oder zu lesen. Stattdessen im Frühjahr 2011 die anspruchsvollste deutsche TV-Auszeichnung überhaupt, der Grimmepreis für Thomas Gottschalks Lebenswerk. Was ist das für ein Spiel, das da gerade abläuft? Nun, es ist letztlich die alte Leier: Erst, wenn eine Regentschaft zu Ende geht, ist Platz für Nostalgie – und natürlich für echte Verlustängste. Vermutlich wird auch dem kritischen Fernsehzuschauer jetzt deutlich, was ihm mit den Abschiedsworten Thomas Gottschalks als „Wetten, dass . . ?“-Moderator verloren gehen wird: der letzte souveräne Showmoderator des deutschen Fernsehens. Der letzte Samstagabend-Zampano, der in all seinem Tun manchmal peinlich, häufig oberflächlich und fast immer applausheischend war – bei all dem aber doch durchweg authentisch wirkte.

Authentizität: das ist ja das große Zauberwort des aktuellen TV-Programmdesigns. RTL hat seine Marktführerschaft weit vor den Öffentlich-Rechtlichen erkämpft mit lauter scheinbar authentischen Formaten, in denen uns keine großen Spielfilme und keine kunstvollen Choreografien, sondern allersprödester, eben authentischer Alltag geboten wird: Vormittags und nachmittags spielen Laiendarsteller aufgebracht ihre Lebenskrisen nach, abends präsentieren sich bei bei „Superstar“ und „Supertalent“ Laienkünstler,oder es geben überschuldete Konsumenten oder überforderte Eltern tiefe Einblick in triste Kinderzimmer und Kontoauszüge.

Der Trick an alledem: so absurd es klingen mag, all diese Authentizität ist bis ins letzte Detail durchinszeniert. Ganze Heerscharen an Skriptexperten rupfen und zupfen sich das Menschen- und Lebensmaterial so zurecht, dass es beim Publikum die nötigen, nämlich die ganz großen Gefühle namens Mitleid, Spott oder Ekel erzielt. Dabei wetteifern die Bilderfluten des Fernsehens mit den Bilderozeanen des Internets: letzten Ende ist immer das am coolsten, was sich am uncoolsten präsentiert. Man merkt den Apparaten allenthalben die Anstrengung an, das wahre Leben mit immer unwahreren Mitteln vorzugaukeln.

Die Kritik spürt Scheu und Ehrfurcht vor dem Original

In Relation zu all diesem medialen Sonnen- und Nagelstudiowerk ist Thomas Gottschalk tatsächlich: Gott. Nicht, dass „Wetten, dass . . ?“ nicht geprobt würde. Nicht, dass es hier so gar keine Ablaufpläne oder Witzabsprachen gäbe. Aber Gottschalk ist tatsächlich der einzige und der letzte Fernsehmensch, der trotzdem und im Zweifelsfall zu jedem Zeitpunkt der Herr des Verfahrens, der Meister der Manege bleibt. Nur er konnte deshalb auch am 4. Dezember 2010 im Augenblick bedenken, was angesichts des am Boden liegenden Wettopfers Samuel Koch zu tun war. Man mag sich nicht vorstellen, wie ein Jörg Pilawa, ein Guido Cantz, ein Oliver Geissen reagiert hätte. Und mit Verlaub, auch ein Hape Kerkeling wäre in dieser Situation vermutlich an seinen zahllosen Rollen nur gescheitert.

Das dicke Ende in Friedrichshafen

Das ist es, was Thomas Gottschalk all die großen Artikel in den Zeitungen und seinen potenziellen Nachfolgern einen schnellen Garaus garantiert: Die Medienwelt, die das Echte, Unverfälschte durchkapitalisiert hat und deshalb nach der inszenierten Authentizität so giert wie der Vampir nach der Jungfrau, bezeugt Scheu und Ehrfurcht vor einem Mann, dem manche Künstlichkeit nachzusagen ist, der aber bisher zeit seines Lebens – Achtung, Medienjargon! – „ungeskripted“ blieb.

Es geht: ein Rundfunk-, ein Fernsehjournalist, ausgebildet beim Bayerischen Rundfunk einst in den siebziger Jahren, übrigens ganz so wie sein Freund Günther Jauch. Wie schwer der Treffer sitzt, zeigt die ernsthafte Überlegung, das ZDF könnte die Acht-Millionen-Zuschauer-Show womöglich lieber ganz versenken als einem überforderten Nachfolger anvertrauen. Aber keine Bange, so wird’s nicht kommen. Denn auch das ZDF geht mit der Zeit.