Finanzen Vaihingen/Enz Kommunalkasse leidet unter Schlafstadt-Status

Ist Vaihingen/Enz eine Schlafstadt? Aus Sicht der Stadtverwaltung: Ja – und zwar viel zu sehr. Es gibt nach Ansicht des Oberbürgermeisters viel zu wenige Jobs im Stadtgebiet. Das zwingt die Verwaltung, bei Investitionen gewaltig auf die Bremse zu treten.
Vaihingen/Enz - Die beiden guten Nachrichten zuerst: Vaihingen ist nicht Schlusslicht im Landkreis Ludwigsburg. Und: es hat sich viel getan in den vergangenen Jahren. Die schlechte Nachricht aber lautet: in der Stadt unterm Kaltenstein gibt es noch immer zu wenige Arbeitsplätze und folglich eine hohe Auspendlerquote. Das ist nicht nur ein Problem für das Leben in der Innenstadt. Das schlägt sich auch in der Stadtkasse nieder.
„Bezogen auf die Zahl unserer Arbeitsplätze sind unsere Gewerbesteuereinnahmen in Ordnung“, sagt der Vaihinger Oberbürgermeister Gerd Maisch. Dennoch sieht er auch im Haushaltsplan für 2016, der am Mittwochabend im Gemeinderat verabschiedet wird, eine ganz direkte Folge dieses Phänomens: Die Gewerbesteuereinnahmen sind mit geplanten 8,5 Millionen Euro weit unter dem, was Städte dieser Größenordnung eigentlich brauchen – 15 Millionen Euro wären laut Maisch angemessen, „um all das anzugehen, was sinnvoll und notwendig wäre“.
Nur Remseck bietet noch weniger Jobs
Rund 7900 Arbeitsplätze gibt es in der 28500-Einwohner-Stadt Vaihingen. Remseck (25 200 Einwohner) ist die einzige Große Kreisstadt im Landkreis, in der es laut dem Statistischen Landesamt noch weniger Jobs gibt (3350). Spitzenreiter ist erwartungsgemäß die Stadt Bietigheim-Bissingen (42 550 Einwohner) mit stattlichen 24 100 Arbeitsplätzen.
Dabei habe sich Vaihingen seit seinem Amtsantritt ein gutes Stück weit bewegt. Maisch hatte seinerzeit die Tür für Ansiedlungen im Gewerbegebiet Ensingen-Süd – dem sogenannten „Perfekten Standort“ – aufgestoßen. Dafür musste er reichlich Kritik einstecken, insbesondere im Stadtteil Ensingen. Doch dadurch seien fast 1000 zusätzliche Arbeitsplätze in der Stadt entstanden, rechnet Maisch vor. „Wir könnten manche Dinge nicht machen, wenn wir den Perfekten Standort nicht hätten“, sagt der Oberbürgermeister. Diese Jobs gingen mit etwa 1,5 Millionen Euro zusätzlicher Gewerbesteuer einher.
Die Rücklage schrumpft rapide
Nach wie vor macht die Kommunalkasse dem Rathauschef, der zuvor schon als Kämmerer gearbeitet hat, „immer wieder große Sorgen“. Maisch und die städtische Kämmerin Melanie Lerche gehen davon aus, dass die Stadt es im kommenden Jahr nicht schaffen wird, ein positives ordentliches Ergebnis (vulgo: Überschuss) zu erzielen. Veranschlagt ist vielmehr ein Minus von zwei Millionen Euro. In den Folgejahren bleibe das voraussichtlich so, jährlich fehlen laut der Planung um die 2,5 Millionen Euro, die eigentlich nötig wären, um nicht von der Substanz zu leben.
Zwar werden inzwischen keine neuen Schulden mehr aufgenommen, jährlich sogar rund eine Million zurückgezahlt. Doch weil die Stadt auch investieren muss, schrumpft die Rücklage bedenklich schnell. Die Kämmerin geht davon aus, dass die Stadt Ende 2019 kein Geld mehr auf der Hohen Kante haben wird. Und dann? „Uns ist bis jetzt immer wieder etwas eingefallen“, sagt Maisch. Jüngst hatte die Stadt die Niedrigzinsphase genutzt, um mit kräftigen Schuldenaufnahmen einige Zeit zu überbrücken. Ende 2016 werden noch fast 22 Millionen Euro Schulden übrig sein.
Die Stadt muss kleine Brötchen backen
Klar, dass die Stadtverwaltung bei den Investitionen ziemlich kleine Brötchen backen muss. In den kommenden Jahren sollen jeweils nur fünf Millionen Euro oder noch weniger für Bautätigkeiten ausgegeben werden. Größter Brocken ist die neue Sporthalle am Schloss Kaltenstein, die rund 6,5 Millionen Euro kosten soll. Überfällige Investitionen ins Finanzrathaus oder das Technische Rathaus müssen auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Und selbst über kleinere Posten wie den Umbau der WEG-Eisenbahntrasse zum Fahrradweg (Kostenpunkt für die Stadt: 750 000 Euro) wird im Gemeinderat kontrovers diskutiert. „Das ist schon bezeichnend“, findet Gerd Maisch.
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