Exklusiv Der Finanzwissenschaftler Clemens Fuest vom ZEW-Institut in Mannheim kritisiert im Interview mit der Stuttgarter Zeitung, dass die Politik Haushaltsüberschüsse ausgegeben hat.

Berlin - Clemens Fuest (46) ist seit März 2013 Präsident und wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Mannheim. Fuest gehört dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen an. Zudem ist er Mitglied des Beirats für nachhaltige Entwicklung der Landesregierung von Baden-Württemberg.

 
Herr Fuest, der Bundesfinanzminister plant 2015 erstmals seit 1969 einen Haushalt ohne neue Schulden. Ist das der lang ersehnte Durchbruch bei der Etatsanierung?
Der ausgeglichene Haushalt ist sicherlich ein großer Erfolg. Über Jahrzehnte hinweg wurde in Deutschland Finanzpolitik auf Basis neuer Schulden gemacht. Das ist eine Politik auf Kosten der Zukunft. Es ist höchste Zeit, dass dies gestoppt wird.
Der Staat profitiert von der guten Konjunktur und steigenden Steuereinnahmen. Ist der Haushaltsausgleich für 2015 ein ambitioniertes Ziel?
Es stimmt, dass der geplante Haushaltsausgleich nicht nur auf Disziplin bei Staatsausgaben zurückzuführen ist. Der Finanzminister profitiert davon, dass die Konjunktur erstaunlich gut läuft und die Steuereinnahmen wachsen. Insofern kann man die Meinung vertreten, dass die Politik mehr hätte tun können. Bis zum vergangenen Jahr waren auch Haushaltsüberschüsse vorgesehen. Die große Koalition entschied sich aber dafür, mehr Geld auszugeben. Das halte ich für einen Fehler. Es ist nicht sicher, dass die Konjunktur immer stabil bleibt. Richtig wäre es, Vorsorge für schlechte Zeiten zu treffen.
Die frühere Regierung wollte ab 2015 Schulden tilgen. Schwarz-Rot sagt, im Vergleich zu anderen Industrieländern stehe Deutschland so günstig da, so dass es auf die Schuldentilgung nicht ankommt.
Diese Meinung teile ich nicht. Wir müssen sehen, dass Deutschland mehr als viele andere Länder vom demografischen Wandel betroffen ist. Der Bedarf, von Schulden wegzukommen, ist größer als anderswo. Wir sollten Reformen nicht aufgeben, weil andere Länder eine falsche Finanzpolitik betreiben. Notwendig ist, den Schuldenberg abzutragen.
Die Regierung erhöht in starkem Maß die Sozialausgaben für die Rente. Ist der Etatausgleich nur ein vorübergehendes Zwischenhoch?
Es ist nicht sicher, dass wir eine Trendwende in der Schuldenpolitik erleben. Wenn die große Koalition mit dem Ausbau von Sozialleistungen munter voranschreitet, wird es allenfalls einen kurzfristigen Ausreißer in der Haushaltspolitik geben. Wir dürfen nicht übersehen, dass in wichtigen Bereichen wie den Investitionen für die Verkehrswege die Ausgaben stagnieren. Das kann der Staat nicht durchhalten. Deshalb wäre es gut, wenn die Politik ein Polster anlegen würde anstatt Sozialleistungen zu erhöhen.
Die Steuereinnahmen nehmen laut Prognose in den nächsten Jahren stark zu. Wäre es da nicht angebracht, den Bürgern einen Ausgleich für heimliche Steuererhöhungen zu geben?
Auf Dauer wird man eine steuerliche Entlastung nicht vermeiden können. Die kalte Progression führt zu immer höheren Steuerlasten auch von Normalverdienern. Dafür gab es seit längerer Zeit keinerlei Ausgleich. Steuersenkungen und ausgeglichene Haushalte sind dann miteinander vereinbar, wenn sich die Politik Ausgabendisziplin auferlegt. Mit dem Abbau von Subventionen kann finanzieller Spielraum geschaffen werden. Die Regierung muss sich entscheiden, was sie will. Spätestens in den zwanziger Jahren geht die Baby-Boom-Generation in Rente. Dann werden die demografischen Lasten voll durchschlagen. Darauf sollte sich die Regierung vorbereiten.