Die deutsche Fleischindustrie ist durch den massiven Einsatz von Billiglöhnern in Verruf geraten. Am Dienstag haben die großen Schlachtunternehmen und die Gewerkschaft NGG erstmals über einen Flächentarif verhandelt – allerdings ohne Ergebnis.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Wenn von der Exportnation Deutschland die Rede ist, geht es meist um die Schlüsselbranchen Maschinenbau oder Automobilindustrie. Die Bundesrepublik kann aber auch auf einem ganz anderen Feld ein bemerkenswertes Exportwachstum vorweisen: bei der Ausfuhr geschlachteter Schweine. War Deutschland im Jahr 2003 noch Nettoimporteur für Schweinefleisch – der Selbstversorgungsgrad lag damals bei 90 Prozent –, haben sich die Verhältnisse inzwischen umgekehrt. Derzeit werden hierzulande etwa 15 Prozent mehr Schweine geschlachtet, als deutsche Verbraucher verzehren. Jedes siebte Schlachttier geht also in den Export – vorwiegend in andere EU-Staaten.

 

Dieser Zuwachs ist nicht etwa auf eine massive Ausweitung der Schweinehaltung in Deutschland zurückzuführen, sondern vor allem auf die gestiegene Zahl von Masttieren, die zum Schlachten aus dem benachbarten Ausland nach Deutschland gebracht werden. Denn hiesige Schlachthöfe arbeiten deutlich billiger als ihre ausländischen Konkurrenten – die ihnen deshalb Dumping vorwerfen. Frankreich und Belgien haben deshalb bereits Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt, weil die dortigen Schlachthöfe Marktanteile verloren haben und teilweise sogar schließen mussten. Der Verband der Fleischwirtschaft erklärt die Kostenvorteile deutscher Schlachtbetriebe unter anderem mit den größeren Einheiten und einer besseren Technik. Für die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) beruhen sie dagegen in erster Linie auf der schlechten Bezahlung der vorwiegend ausländischen Arbeitskräfte, die großteils im Rahmen von Werkverträgen oder über Subunternehmer beschäftigt werden.

Massenunterkünfte, Billiglöhne, illegale Tricksereien

„In manchen Betrieben gehören nur noch zehn bis 15 Prozent der Beschäftigten zur Stammbelegschaft“, sagt der stellvertretende NGG-Vorsitzende Claus-Harald Güster. Viele Mitarbeiter erhielten für das Schlachten und Zerlegen von Schweinen und anderen Tieren nur zwischen drei und sechs Euro pro Stunde oder noch weniger. Zudem wurden Fälle bekannt, in denen Billigarbeiter in unzumutbaren Massenunterkünften untergebracht wurden. Hinzu kommt der Vorwurf illegaler Tricksereien bei Leiharbeit. Im Mai durchsuchten deshalb 450 Polizisten, Zollbeamte, Steuerfahnder und Staatsanwälte bundesweit Büros und Wohnungen. Dabei ging es um den Verdacht, dass Leiharbeitsfirmen beim Einsatz von Mitarbeitern in Schlachthöfen Steuern und Sozialabgaben in Millionenhöhe hinterzogen haben sollen. Das lädierte Image der Schlachthofbetreiber hat nun offenbar auch auf Arbeitgeberseite zu einem Umdenken geführt. Nach mehreren vergeblichen Anläufen verhandelten am Dienstag in Hannover erstmals Vertreter der großen Schlachtunternehmen sowie ihrer Verbände mit der NGG über einen Flächentarifvertrag für die Branche, die nach Gewerkschaftsangaben rund 180 000 Mitarbeiter zählt. Wie viele Menschen über ausländische Subunternehmer beschäftigt werden, ist allerdings unklar.

Die Zersplitterung der Branche erschwert Verhandlungen

Kernforderung der NGG ist ein bundesweit einheitlicher Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde für alle Beschäftigten. Auch Clemens Tönnies saß bei den Verhandlungen mit am Tisch – was bei der NGG für eine gewisse Genugtuung sorgte. Der Chef des größten deutschen Schlachtunternehmens hatte sich zwar Ende August zunächst bereit erklärt, bei Verhandlungen über einen Branchen-Mindestlohn mitzuziehen, seine Meinung kurz darauf aber wieder geändert. Tönnies hatte den Rückzieher mit seinem Ärger über angebliche Falschbehauptungen der NGG über die Schlachtbranche begründet. Erschwert worden war die Aufnahme von Verhandlungen auch durch die Zersplitterung der Branche in mehrere Fachverbände. Bislang gibt es lediglich einzelne Haus- oder Regionaltarife, die insgesamt nur rund 27 000 Beschäftigte erfassen. Die NGG will erreichen, dass der Mindestlohn auch für ausländische Werkvertragsnehmer gilt. Dazu muss die Fleischbranche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden.

In der ersten Runde der Tarifverhandlungen gab es allerdings kein Ergebnis. Die Arbeitgeber hätten angedeutet, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro für die ostdeutschen Bundesländer kurzfristig nicht möglich sei, teilte die Gewerkschaft mit. „Nach den Botschaften der vergangenen Wochen, die die großen Schlachtkonzerne ausgesandt hatten, ist die Haltung der Arbeitgeber in der heutigen Verhandlung enttäuschend“, sagte NGG-Vize Güster. Am 17. Dezember soll weiter verhandelt werden.