Fliegende Samariter Ausrangierte Fallschirme aus Dettingen retten Leben im Pazifik

Im Südsee-Paradies rettet Pacific Mission Aviation Leben. Foto: Richard Brooks

Mit alten Fallschirmen lässt Matthias Keppler Medikament auf abgelegenen Inseln im Pazifik abwerfen – Orte, an denen Insel-Häuptlinge noch das Sagen haben. Bei seiner Arbeit wurde er auch schon mit Kannibalismus konfrontiert.

Filderzeitung: Sandra Belschner (sbr)

Regelmäßig hängt das Leben von Matthias Keppler von einem Stückchen Stoff ab. Damit, dass von dem gleichen Stückchen Stoff auch einmal das Leben von vielen Inselbewohnern im Pazifik abhängen würde, hat er nicht gerechnet. Doch genau das gehört seit sieben Jahren zur täglichen Arbeit des Dettingers. Er ist der Geschäftsführer von Pacific Mission Aviation (PMA), einem Missionsflugdienst im Pazifik. Vieles koordiniert er aus seinem gemütlichen Dachgeschoss-Büro, in dem bunte Flaggen und andere Mitbringsel auf Einsätze in der weiten Welt hindeuten. In zwei Wochen geht es für Keppler wieder ins Südsee-Paradies – die Einsätze, die ihn dort erwarten können, sind allerdings weniger paradiesisch.

 

PMA setzt sich seit über 50 Jahren für Menschen auf abgelegenen Inseln, hauptsächlich in Mikronesien, ein. Dazu gehören vor allem Rettungsflüge für Schwerkranke, Sucheinsätze nach vermissten Booten und medizinische Arbeit. Ein großer Teil der etwa 200 000 Einwohner Mikronesiens lebt auf einer der mehr als 2000 kleinen Inseln, verstreut auf einer Wasserfläche, die zehnmal so groß ist wie Deutschland. Die medizinische Versorgung ist mangelhaft. Nach Naturkatastrophen wie beispielsweise Taifunen sei oft keine schnelle und wirkungsvolle Hilfe möglich, sagt Keppler. Das Regierungsschiff komme nur sehr unregelmäßig und sei häufig außer Betrieb. Das nächste Krankenhaus? Unerreichbar.

Zweite Chance für Fallschirme

Ein Großteil der Hilfe kommt daher aus der Luft. Der Schwerpunkt des Vereins ist der Abwurf von Medikamenten und Lebensmitteln. Früher noch mit einem zusammengeknoteten Leinentuch, seit 2018 mit ausrangierten Fallschirmen – die Idee kam aus Dettingen. „In Deutschland gibt es die Regel, dass Fallschirme nach zehn Jahren ausgetauscht werden müssen, auch dann, wenn sie noch voll funktionsfähig sind“, erklärt Keppler. „Knapp 40 000 Menschen sind Mitglied im Deutschen Gleitschirm- und Drachenflugverband, da gibt es einige Fallschirme, die in Kellern verstauben“. PMA gibt den Rettern aus Stoff eine zweite Chance. Für die Menschen im pazifischen Raum sind sie oft die letzte. Vor vier Jahren informierte die Küstenwache den Verein darüber, dass ein Auslegerkanu nördlich der Insel Yap kenterte und in Seenot geraten sei. Nach einem zweieinhalbstündigen Flug fand das Team das Boot und konnte Lebensmittel, ein Funkgerät und Leuchtpistolen abwerfen. Die Personen an Bord des Kanus konnten so die Nacht bis zum Eintreffen eines Rettungsbootes überstehen. 2021 konnte durch die Hilfe von PMA ein kleiner Junge gerettet werden, der mit zwei Männern zum Nachtfischen unterwegs war, als beim Tauchgang der Anker abriss. Der kleine Junge trieb ab. Die Männer konnten nach Yap zurückschwimmen und das PMA-Team informieren. Früh morgens packten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rettungsschirme mit Hilfsmitteln. Nach einer vierstündigen Suche hatte der Junge wieder festen Boden unter seinen Füßen.

Armut, Prostitution, Taifune und Machtgefälle

Auch wenn sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von PMA selbst als fliegende Samariter der Südsee sehen, sei es am wichtigsten, den reichen und westlichen Blick zuhause zu lassen, sagt Keppler. „Wir versuchen immer die Kultur und Religion vor Ort zu wahren – allerdings nur im Rahmen der Menschenrechte.“ Außerdem arbeitet der Verein mit Einheimischen zusammen, um das Leben vor Ort vom Schreibtisch in Deutschland aus zu verstehen.

In den Einsatzgebieten von PMA bestimmen Umstände das Leben, die in der westlichen Welt unvorstellbar sind. Alltag, der sich aus Taifunen, Armut, Prostitution, Vergewaltigungen und starken Machtgefällen zusammensetzt. „Auf vielen der Inseln gibt es noch einen Häuptling, und der hat eine gewisse Macht“, erzählt der studierte Theologe, der früher am Bibel-Studien-Kolleg in Ostfildern unterrichtet hat. „Wir sind christlich motiviert und kommen aus dem Westen. Natürlich gibt es dann erst mal ein gewisses Misstrauen bei den Insulanern“, berichtet Keppler von seinen Erfahrungen, „aber über die Jahre konnte PMA sich Vertrauen im Pazifik aufbauen“. Wie wichtig der Vertrauensvorschuss für die Arbeit des Vereins ist, erfuhr Keppler am eigenen Leib: Der Häuptling von Ulithi drohte ihm mit Kannibalismus. „Er fragte mich, ob ich von PMA sei. Wenn nicht, hätte ich zwei Tage, um seine Insel zu verlassen. Ansonsten erinnere er sich daran, dass seine Vorfahren noch Kannibalen waren“. Auch Korruption spiele eine Rolle auf den Inseln. Dass Insulanerinnen und Insulaner die Pakete aus der Luft abgreifen und beispielsweise weiterverkaufen würden, ist dem Gleitschirmflieger aber nicht bekannt.

Wie die Pacific Mission Aviation Hoffnung bringt und Leben rettet

Klinikboot
 Zur Unterstützung von Pacific Mission Aviation (PMA) gehört auch das Schiff „M/V Sea Haven“ – eine schwimmende Klinik. Sie hilft dort, wo kein Flugzeug zum Einsatz kommen kann. An Bord befinden sich eine Zahnarztpraxis und ein Operationssaal.

Waisenhäuser
 Auf den Philippinen betreut PMA ein Waisenhaus und holt Kinder von der Straße. Im „Bahay Kalinga“ bekommen bedürftige Kinder bis zur Adoption ein Zuhause, Fürsorge und schulische Ausbildung. Einige Kinder kommen auch in Familien nach Europa.

Spenden
Wer sich von seinem Fallschirm für einen guten Zweck trennen möchte, kann ihn direkt zu Matthias Keppler, Kirchstraße 4, Dettingen/Teck schicken. Die Arbeit von PMA finanziert sich ausschließlich durch Geld- und Sachspenden wie etwa Medikamente.

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