In der Stuttgart-21-Baustelle für die S-Bahnhaltestelle Mittnachtstraße haben Bauarbeiter am Dienstag einen Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Während der Entschärfung war der Zugverkehr zum Stuttgarter Hauptbahnhof unterbrochen.
Stuttgart - Bis in die Abendstunden ist es am Dienstag zu Verspätungen im Bahnverkehr gekommen. Wegen der Entschärfung und Bergung einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg wurde mehrfach die Strecke zwischen Nordbahnhof und Hauptbahnhof gesperrt. Gegen 19 Uhr kam die Entwarnung – da war der Blindgänger unschädlich gemacht. Die Sperrungen hatten aber auch danach noch Auswirkungen auf den Zugverkehr. Die Bahn meldete am späten Abend, dass zwei Züge des Fernverkehrs ausgefallen seien. Über die Ausfälle und Verspätungen der S-Bahnen erteilte das Unternehmen am Dienstagabend noch keine Auskünfte.
Um 13.50 Uhr war der Bombenalarm bei der Polizei eingegangen. Auf der Stuttgart-21-Baustelle an der Rosensteinstraße im Bereich des Lidl-Marktes war ein Baggerfahrer auf eine US-Fliegerbombe gestoßen. Gut einen Meter lang ist das gefährliche Fundstück, einen Durchmesser von 50 Zentimeter hat die 500-Kilo-Bombe. Es dauerte nicht lange, da waren mehr als hundert Beamte der Stuttgarter Polizei und der Bundespolizei im Einsatz, dazu Rettungskräfte des Roten Kreuzes und der Feuerwehr und der Kampfmittelbeseitigungsdienst. Dessen Feuerwerker können die Bombe erst entschärfen, wenn sich niemand mehr im Gefahrenbereich aufhält. Im Umkreis von 350 Metern mussten Bewohner ihre Häuser verlassen. Auch einen Supermarkt und einen Kindergarten evakuierten die Einsatzkräfte. Insgesamt waren mehr als 1000 Personen betroffen.
Die Bombe liegt im Bereich der Stuttgart-21-Baustelle
An der Stelle, wo die Bombe lag, baut die Bahn derzeit an der neuen S-Bahnhaltestelle Mittnachtstraße, die im Zuge von Stuttgart 21 entsteht. In dem nach oben offenen, gut 260 Meter langen Trog, sollen einmal alle S-Bahnlinien halten. Die Bombe sei beim Bau von sogenannten Spundwänden gefunden worden, erklärt Bahnsprecher Martin Schmolke. Die Bahn musste kurzfristig den Verkehr auf den S-Bahn-Gleisen direkt nebenan einstellen, als die Fachleute sich das Überbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg anschauten. Von 14.20 bis gegen 15.10 Uhr seien die Gleise zwischen dem Haupt- und dem Nordbahnhof gesperrt gewesen – und wieder von 17 Uhr an bis 19 Uhr. Davon betroffen waren neben den S-Bahnen der Linien 4, 5, 6 und 60 auch Züge des Fern- und Regionalverkehrs, die von Stuttgart Richtung Norden und auf der Gäubahn unterwegs sind.
Experten vermuten noch mehr Bomben am Bahnhof
Die Bewohner nahmen die Sperrung gelassen. Kerstin Kuru war eine von ihnen. Sie wartete auf ihre Tochter, die in der geräumten Kita war. Eine dreiviertel Stunde stand sie an der Rosensteinstraße, zuerst draußen in der Kälte, dann hat sie es vorgezogen, weiter im warmem Foyer des Ufa-Palast-Kinos zu warten. „Ich wollte meine Tochter vom Kindergarten abholen, aber die Polizei hat mich gleich an der Kreuzung vorne abgefangen“, sagte die Mutter. In die Rosensteinstraße im Nordbahnhofviertel kam keiner mehr herein mit dem Auto, Polizeifahrzeuge haben die Einfahrt kurz nach 14 Uhr dicht gemacht. Und am Kino ging es auch für Fußgänger nicht weiter. Die Anwohner mussten am Dienstag gut fünf Stunden lang Geduld haben. Die Entwarnung kam um 18.55 Uhr, als die Bombe unschädlich gemacht war.
Die Räumung hatte kurz nach 15 Uhr begonnen. Als erstes an der Reihe waren rund 200 Kinder der städtischen Kita an der Rümelinstraße, wo Kerstin Kuru gegen 15.45 Uhr ihre Tochter Semiha abholen wollte. Die Kinder wurden mit zwei Bussen der SSB abgeholt. Ein bisschen chaotisch sei es schon gewesen, sagt die stellvertretende Kitaleiterin Michaela Hartnagel. Die fünf Jahre alte Semiha rannte über den Kinovorplatz freudestrahlend auf ihre Mama zu, die sie glücklich in die Arme schließen und den Heimweg antreten konnte. Das Foyer des Kinos diente den Anwohnern als Unterkunft, einige warteten in der Siemens-Schule.
Als die Anwohner in ihre Häuser zurück durften, hatten auch die Feuerwerker des Kampfmittelbeseitigungsdienstes Feierabend. Seit Kriegsende hatte die Bombe mit 230 Kilo Sprengstoff an Bord nur einen halben Meter unter der Erdoberfläche geschlummert, erzählten die Fachleute Christoph Rottner und Karl-Heinz Geiselhart. Für sie ist es die erste Entschärfung in Baden-Württemberg in diesem Jahr gewesen. Die Erschütterungen durch den Bahnverkehr hätten keine Gefahr dargestellt: Die Bombe des Typs AN M 44 habe einen mechanischen Zünder, der beim Aufschlag seinerzeit nicht ausgelöst wurde. „Die Mechanik war in einem guten Zustand und leicht zu entfernen“, berichtete Rottner. Er rechne damit, dass während der Bauzeit für den Tiefbahnhof noch mehr Blindgänger auftauchen werden.
Im März 2012 hatte der Kampfmittelbeseitigungsdienst auf dem Baufeld für den Bahnhofstrog einen Einsatz, weil dort eine Bombe vermutet worden war. Damals war es ein Fehlalarm: Die Experten fanden lediglich ein rostiges Stück Metallrohr.