In der vierten Folge der Piratensaga wühlt Hektik die Meere auf.Die Nettigkeiten der Vorgängerfilme laufen Gefahr, weggestrudelt zu werden.

Stuttgart - Jung, verschmitzt und tatendurstig sieht er aus, jedenfalls solange er aus der Maske eines alten Mannes herauslugt. In „Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten“ trägt der schelmische und versoffene Piratenkapitän Jack Sparrow (Johnny Depp) zunächst nämlich Perücke, Brille und Robe eines ehrenwerten Londoner Richters. Er hat die echte Eminenz der Jurisprudenz gefesselt hinten weggesperrt, um vorne im Gerichtssaal einen alten Kumpan vor dem Galgen zu retten. Wenn die beiden Schrecken der Meere dann in einem Gefängniskarren fliehen, wirkt Jack schon ein klein wenig müder und gebeugter und der Griff zur Flasche hat etwas leicht Beunruhigendes. Jack bringt sich mit dem Fusel nicht in Fahrt, er hält sich eher auf ebenem Kiel. Da merkt man auf: Sollte der vierte Teil der höchst erfolgreichen Filmserie um die Karibikpiraten hier sein melancholisches Thema gefunden haben?

 

Nein, so mutig ist er nicht. Kurz nach dem ersten Schluck wird Jack in Fahrt kommen, ja, beständig an der Leistungsgrenze handeln müssen. Er wird – nun in 3-D-Optik – an Kronleuchtern schwingen, in schwindelerregenden Höhen herumtänzeln, wird fechten und sich prügeln, immer wieder an etwas hängen, in die Tiefe stürzen, aufwärts kraxeln, hier einen harten Aufprall aushalten und da der Enthauptung entgehen. Schon die Flucht aus London wird die Art Feuerwerk der Stunts und Tricks, die früher als absoluter Höhepunkt eines furiosen Kinospektakels gegolten hätte und nun nur noch zur Einführung in Ton und Tempo eines Films dient. Das Franchise „Pirates of the Caribbean“ wird ja auch von Jerry Bruckheimer produziert, der zur Beschleunigung des US-Kinos, zur Unterordnung des Erzählens unter das Diktat der Stoppuhr, nicht unwesentlich beigetragen hat. „Fremde Gezeiten“ findet dann aber doch zu einem imposanten Moment der Ruhe.

Die Nebenfiguren gewinnen keine Kontur

Spanier, Engländer und allerlei Piraten suchen hier den Quell der ewigen Jugend. Mit dabei ist Kapitän Blackbeard, auf dessen Schiff Sparrow eine Meuterei anzettelt, indem er die Mannschaft überzeugt, dieser Horrorschurke sei überhaupt nicht an Bord. Wieder mal tobt, fliegt und kreischt alles durcheinander. Da öffnet sich die Kajütentür und der höllenfeuerumflackerte Oberpirat stapft heraus. Wie der Schauspieler Ian McShane nun auf Angst, Bangen und Fassungslosigkeit der Meuterer hinabstarrt, das hat große Klasse. McShane hat als bisher wohl feinste Rolle den Saloon- und Bordellbesitzer Swearengen in der HBO-Westernserie „Deadwood“ abgeliefert. In „Deadwood“ kann sich McShanes Figur als facettenreich erweisen, in „Fremde Gezeiten“ bekommt sie diese Chance leider nicht. Nach ein paar prickligen Momenten charakterfundierter Boshaftigkeit rast das Geschehen schon wieder weiter. Das vierte Karibikabenteuer wirkt besonders fahrig, weil sich die Serie schon im dritten Teil zu surrealen, traumhaften Bildern hin entwickelt hatte, weil sie ihre eigene Absurdität genüsslich auskostete und nicht das Tempo einer Flucht, sondern die Gefilde einer Fluchtwelt auszukosten schien.