Wie läuft die Einreise der Flüchtlinge eigentlich ab? Integrationsministerin Bilkay Öney hat sich in Freilassing im Berchtesgadener Land informiert. Die SPD-Ministerin stieß auf geordnete Zustände, doch die Lage ist labil.

Freilassing - Der Gitterzaun öffnet sich, und wieder trabt eine kleine Flüchtlingsgruppe über den Fußgängersteg, der von Salzburg her über die Saalach führt. Auf der Freilassinger Seite wartet schon die Bundespolizei auf Kamal, seine Frau Ghinwa und die beiden Kinder, das eine sechs Monate alt, das andere knapp zwei Jahre. 18 Tage benötigten sie von der Türkei nach Deutschland. Er stamme aus dem Libanon, sagt der 36-jährige Kamal, seine Frau komme aus Mossul im Norden des Irak, wo sich inzwischen der Islamische Staat breitgemacht hat. Nun sind sie an ihrem Ziel angelangt: Deutschland.

 

Die Rucksäcke über die Schultern geworfen, die Kinder in den Armen, im Gesicht meist ein befreites Lächeln – so kommen sie heran. In gleichmäßig portionierten Häuflein ziehen sie über den Flusssteg, alle paar Minuten ein kleiner Trupp. 1200 Flüchtlinge passieren derzeit an dieser Stelle täglich die Grenze. Die Bundespolizei hat am Saalachufer ein paar Zelte aufgebaut. Dort werden die Neuankömmlinge gesammelt, einer ersten medizinischen Begutachtung unterzogen und durchsucht. Die Szenerie wirkt entspannt.

Sauer auf die Österreicher

Das allerdings ist nicht immer so. Einmal, so erzählt ein Grenzschützer, standen auf der benachbarten Straßenbrücke auf beiden Straßenseiten je 700 Flüchtlinge. Die Österreicher hatten sie auf einen Schlag losgeschickt, was bei den Beamten auf deutscher Seite Hektik auslöste. Sie können die Flüchtlinge schließlich nicht einfach so ins Land lassen. Aber sie wollen sie auch nicht stundenlang stehen lassen, schon wegen der Kinder. Im Ernstfall scheint die Zusammenarbeit mit den Österreichern nicht so reibungslos zu funktionieren, wie bei den zahlreichen Zusammenkünften von Amts- und Würdenträgern beider Seiten stets gern suggeriert wird. An diesem Dienstag aber geht alles seinen inzwischen geregelten Gang. Ist am Saalachufer eine halbe Hundertschaft beisammen, folgt der Transport in eine ehemalige Möbelhalle in einem Freilassinger Gewerbegebiet. „Von Chaos kann keine Rede sein“, sagt Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD), die nach Freilassing reiste, um sich ein eigenes Bild zu machen. Sie weiß nicht, dass sich bis Mittwochmorgen das Bild wieder ändern wird. Die Kapazitäten sind erschöpft, man bittet die Österreicher, weniger Menschen über die Grenze zu lassen.

In der ehemaligen Möbelhalle werden die Neuankömmlinge erstmals registriert. Vor allem werden ihre Fingerabdrücke abgeglichen. Auf diese Weise kann die Bundespolizei prüfen, ob ein Flüchtling schon einmal zurückgewiesen wurde und nun erneut versucht, ins Land zu kommen. Solche Fälle kommen schon vor, sagen die Grenzschützer. In einer Ecke nimmt ein junges Paar vor einer Kamera Aufstellung. Mann und Frau haben jeweils ein Kind im Arm, dazu halten sie ein Schild mit der Aufschrift „Syria“. Der Beamte hinter der Kamera drückt den Auslöser, dann dürfen die beiden weiter. Die Polizisten sagen, es handle sich um eine Art Vorregistrierung. In einer Ecke geben junge Bundeswehrsoldaten Getränke und Essen aus. Überall stehen mit Plastikplanen überzogene Feldbetten.

Die Zahl der Flüchtlinge steigt wieder

Wie sich zeigt, gibt es noch ein Untergeschoss, in dem es mangels Lüftung gewaltig nach Fußschweiß stinkt. Hinter einem losen Gitterverschlag kauern ein paar junge Männer auf Pritschen, die nach Angaben der Polizei bei der Einreise scheiterten. Vor dem Gitter sitzt schluchzend eine junge Frau, die bei der Frage nach ihren Einreisegründen offenkundig unklug antwortete. Vielleicht war auch nur ihr Englisch zu schlecht. Jedenfalls soll sie nochmals mit Hilfe eines Dolmetschers befragt werden. Bilkay Öney redet beruhigend auf sie ein.

Von der Möbelhalle werden die Flüchtlinge zum Bahnhof gebracht. Dort geben nochmals zwei Caritas-Helferinnen Verpflegung aus. Fotografieren lassen wollen sich die beiden Frauen nicht. Sie fürchten angepöbelt zu werden, wenn sie in der Zeitung erkannt werden. Am Bahnsteig wartet bereits auf Gleis 1 der Sonderzug, der die Flüchtlinge nach Mannheim bringt. Dort werden sie auf die Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz verteilt. Einige kommen auch ins Saarland. Der „Südwest-Zug“ startet immer nachmittags, spät am Abend geht dann der IC nach Berlin ab.

Bereits am Morgen hatte Öney die Bund-Länder-Koordinierungsstelle für die Flüchtlingsverteilung in München besucht. Dort wird in Büroräumen nahe des Olympiastadions tagesaktuell entschieden, wie viele Flüchtlinge wohin kommen – und auf welchem Weg. Züge werden bestellt, Busse geordert, Kontakt mit den Krisenstäben in den Bundesländern gehalten. Für den „Verteilbereich Südwest“ ist Johannes Schley zuständig, eigentlich Brandrat an der Landesfeuerwehrschule in Bruchsal. Die Zahl der Flüchtlinge steige derzeit wieder signifikant an, berichtet er. Ralph Tiesler, der Leiter des Verteilzentrums, sagt: „Unser wichtigstes Ziel ist, Obdachlosigkeit zu verhindern.“ Tiesler hat weltweit Erfahrung bei Katastropheneinsätzen gesammelt. „Ich weiß, wie es ist, auf dem Boden zu schlafen“, sagt er. Die Flüchtlinge müssten weg von der Grenze. „Das ist jeden Tag eine Herausforderung.“ Am Abend kehrt die Ministerin beruhigt nach Stuttgart zurück. Ihr Fazit: „Die Menschen werde behandelt wie Menschen.“